Editorial 06/15: Weder Fisch noch Fleisch …

… aber auch keine Pflanze. Pilze machen es nicht nur den Wissenschaftlern schwer, die sich die Systematik, also die Strukturierung der natürlichen Vielfalt zum Ziel gesetzt haben. Da gibt es das Tierreich – überwiegend zur Bewegung/Ortsveränderung fähige heterotrophe1 Lebewesen, mit Glykogen als wichtigem Speicherstoff für Energie. Dann das Reich der Pflanzen, die als autotrophe2 Lebewesen ihre Lebensenergie aus dem Sonnenlicht beziehen und damit CO2 zu Zucker und dem Energiespeicher Stärke assimilieren können. Zudem sind die meisten Pflanzen nicht zu schnellen Bewegungen fähig und stabilisieren ihre Gestalt über das Polysaccharid Zellulose als Bestandteil der Zellwände.

Und dann gibt es die Pilze, die so recht in keine der beiden Schubladen passen, auch wenn sie z. B. in Biologie-Lehrbüchern meist in den botanischen Fächern behandelt werden (und auch von Vegetariern als „pflanzlich“ verzehrt werden). Pilze ernähren sich saprotroph3, sind ähnlich wie Pflanzen eher ortsfest, können wie Tiere Glykogen als Speichersubstanz bilden und einige besitzen das vom Insektenpanzer bekannte Chitin als Bestandteil der Zellwände. Auch das Fortpflanzungsverhalten gehört – ganz ohne Bienen und so – mit zu den kompliziertesten Abläufen, die man während eines Biologiestudiums lernen kann. Was wir landläufig als „Pilz“ bezeichnen, ist nur der Fruchtkörper eines ungleich größeren Organismus aus Pilzmyzel. Mittlerweile gestehen die Systematiker daher den Pilzen ein eigenes Reich zu: das Reich der Pilze.

Unabhängig von diesen Überlegungen haftete Pilzen schon immer etwas Magisches an: Die Pilzkörper erscheinen bei entsprechender Witterung relativ überraschend, oft in sehr großer Zahl. Pilze können berauschende Drogen und tödliche Gifte enthalten und auch ihre Formenund Farbenvielfalt regte schon immer die Phantasie der Menschen an, wie die Pilznamen „Krause Glucke“, „Ziegenbart“ oder „Satanspilz“ zeigen.

Vier Beiträge in dieser Ausgabe der Ernährungs Umschau beschäftigen sich mit ganz unterschiedlichen Aspekten der Pilze: Speisepilze als Lebensmittel, Verfahren zur Nutzung von Pilzen als (nicht tierische) Vitamin-D-Quelle und Pilze als Schadorganismen und Ausgangsstoff für Medikamente am Beispiel des Mutterkornpilzes. Damit ist die Palette denkbarer „Pilz-Themen“ jedoch bei weitem nicht erschöpft: Schimmelpilze und Hefen sind weitere für die menschliche Ernährung relevante Pilze, die seit langem zur Herstellung von Lebensmitteln oder Aromastoffen genutzt werden und das Potenzial der Inhaltsstoffe, die von Pilzen gebildet werden, ist erst zu einem kleinen Teil untersucht. Hier erwarten uns in Zukunft noch spannende Forschungsergebnisse – und nicht zuletzt auch kulinarische Erlebnisse.

Ihr Udo Maid-Kohnert



1 Lebewesen, die anorganische Verbindungen als Energie- und Kohlenstoffquelle nutzen.
2 Lebewesen, die organischen Verbindungen als Energie- und Kohlenstoffquelle nutzen.
3 Lebewesen, die sich von der organischen Substanz toter Lebewesen ernähren.



Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 06/15 auf Seite M313.

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