Nachschlag 3/2024: Heiliges Öl!!

Pflanzenöle – schon vor Jahrtausenden aus Baumwoll-, Distel-, Lein-, Mohn- und Sesamsamen sowie Mandeln und Oliven gewonnen – sind seit langem Bestandteil der menschlichen Ernährung und Kultur. Neben der Ernährung dienten sie seit jeher auch der äußerlichen oder sogar religiös-rituellen Anwendung und in der dunklen Vorzeit auch als wichtige Lichtspender.

Seit der Entwicklung der Extraktion mithilfe von Lösungsmitteln oder superkritischen Fluiden und der anschließenden chemischen oder physikalischen Raffination können Öle heute aus fast allen fetthaltigen Pflanzenteilen gewinnbringend und in Überfluss gewonnen werden. In den Regalen unserer Supermärkte und Reformhäuser konkurrieren inzwischen über 30 unterschiedliche Pflanzenölsorten um unsere Gunst.
Bei so viel Konkurrenz ist natürlich phantasievolles Marketing gefragt, um die Marktanteile der einzelnen Pflanzenöle zu sichern und auszubauen. Da reicht der ernährungsphysiologisch sinnvolle Hinweis auf einen hohen Gehalt an Linol- oder α-Linolensäure schon lange nicht mehr aus. Olivenöl – besonders die Qualität „extra vergine“ – als zentraler Bestandteil der mediterranen Kost war lange Zeit quasi ein Selbstläufer – auch wenn nicht alle Verbraucher*innen den blumigen Beschreibungen der Olivenölsommeliers bzw. -sommelièren folgen mögen.
Inzwischen werden nicht nur geruchsintensive Fischöle sondern auch unangenehm intensiv, krautig oder gar brenzlig schmeckende Pflanzenöle geruchs- und geschmacksneutral in Kapseln verpackt und mit attraktiven Wirkversprechen hochpreisig an die Frau bzw. den Mann gebracht. Erste Blogger*innen sehen hier bereits einen neuen und lukrativen Trend für Nahrungsergänzungsmittel, auch wenn sich die bisher zugelassenen Health Claims auf die Wirkungen zur Erhaltung eines normalen Cholesterinspiegels und eines normalen Blutdrucks beschränken. Im Vokabular der unregulierten Ratgeberliteratur und der Influencer*innen finden sich bereits jetzt viele weitere, allzu gut klingende Gesundheitsversprechen für die Schönheit von innen.
Bei so viel Hokuspokus wundert es nicht, dass Verbraucher*innen zuweilen zu abenteuerlichen Maßnahmen greifen und auf die von zahlreichen Promis multimedial verbreiteten Wirkungen bestimmter Pflanzenöle als Lebenselixier vertrauen. Ein oder besser zwei Esslöffel natives Oliven-, Argan- oder Schwarzkümmelöl, eingenommen auf nüchternen Magen, sollen Verdauungsbeschwerden und Verstopfung lindern, die allgemeine Gesundheit verbessern und sich sogar positiv auf Haare, Haut und Nägel auswirken.
Eigentlich sollte doch jedem klar sein: Ein positiver Effekt auf die Gesundheit ist nur für den Austausch ungünstiger tierischer Fette bzw. Fettsäuren durch Speiseöle mit günstigerem Fettsäuremuster nachgewiesen.

Ihr Helmut Heseker



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 3/2024 auf Seite M184. 

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