Nachschlag 8/2020: Saure-Gurken-Zeit
- 13.08.2020
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- Udo Maid-Kohnert
Schreib´ doch was über die Missstände in der Fleischindustrie!“ – war unlängst der Rat der Kollegin, als es im Juni um Ideen für den nächsten „Nachschlag“ ging. Also gleich ran an das Thema, die glossenreifen Steilvorlagen lieferten unmittelbar noch Anfang Mai die Ernährungsministerin und im Juni ein fußballverbandelter Fleischfabrikant, in dem sie von Einzelfällen und wenigen „schwarzen Schafen“1 sprachen. Doch noch während ich glossierte, ab wie vielen schwarzen Schafen der Begriff Einzelfall nicht mehr anwendbar und ob die Enghaltung von MitarbeiterInnen artgerecht sei, überholte uns alle die Realität – mit mehr als 1 500 Infizierten. Das war dann gar nicht lustig, der Textentwurf landete im (virtuellen) Papierkorb.
Nun also die Gurken-Industrie2: Ähnliches Szenario, trotz veganer Endprodukte! Unklar noch, was diesmal die Ausbreitung der Infektion begünstigte: die Wohnbedingungen oder die Arbeitsbedingungen – auf Armeslänge auf dem „Gurkenbomber“ liegend – damit die krummen Dinger für Centbeträge im Glas verkauft werden können? Lebensmittelerzeugung geht nun mal nicht im Homeoffice.
Was also tun, wenn man sich all diesen Missständen verweigern will, die nächste solidarische Landwirtschaft jedoch weit entfernt und die Umstellung auf reine Lichtnahrung aus naturwissenschaftlichen Gründen noch nicht gelungen ist? Sind sündhaft teure Hochbeete aus dem Baumarkt oder gar der neue Trend urban livestock farming der Ausweg? Ab wie vielen Hühnern auf dem Balkon lebt das Huhn artgerecht und ist das trotz Greifvogel-Abwehrnetz im zweiten Stock noch Freilandhaltung? Erst mal antesten (im Großraum Bremen kann man z. B. die Hühner mieten, und die Eier behalten …)? Und leidet am Ende das Sofa, wenn im Herbst wieder Geflügelpest kommt und ich das Federvieh ins Haus holen muss? Also bleibe ich einstweilen bei Topfkräutern, Tomaten und Gemüse. Beim Wasserschleppen für die Tomaten (Gurken sollen noch durstiger sein!) beute ich nur mich selbst aus, und die einzige Massentierhaltung sind zeitweise Blattläuse im natürlich giftfreien Anbau.
Lassen Sie es sich schmecken!
Ihr Udo Maid-Kohnert
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1 U. a.: dpa-Meldung vom 12.5.2020: Klöckner ermahnt Fleischbranche; Süddeutsche Zeitung vom 18.6.2020: Immer die anderen
2 Neue Osnabrücker Zeitung vom 27.7.2020: Erntehelfer mit Coronavirus. Massen-Infektion in Mamming: Bevölkerung soll sich testen lassen
Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2020 auf Seite M504.
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