Editorial 6/2022: Von allem etwas – die Mischung macht´s!

Wenn wir Fachfremden die Arbeits- und Forschungsgebiete der Ernährungswissenschaft beschreiben wollen, kommt – je nach eigenen Vorlieben – schnell ein buntes Potpourri von Disziplinen, Forschungsansätzen und praxisrelevanten Erkenntnissen heraus. Diese Juni-Ausgabe ist erneut ein Beispiel dafür:

Von den biochemischen und physiologischen Abläufen in unserem Darm und unseren Milliarden Darmbakterien (Beitrag ab Seite M327) bis hin zur Frage, in welchem Ausmaß unsere Essentscheidungen fremd- oder selbstbestimmt sind und was die Aktivitätsmuster im präfrontalen Kortex unseres Gehirns steuert (Beitrag ab Seite M314). Dann gibt es den großen Bereich sozio-kultureller- und Bildungsthemen (Beitrag zur Ernährungskompetenz älterer Menschen ab Seite M306), außerdem das Feld der politischen/gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Frage nach den globalen ökologischen Auswirkungen unserer Ernährungsweise (Beitrag zur Planetary Health Diet ab Seite M300).
Manchmal fühlen wir uns – ob in der Ernährungsforschung oder als Fachkraft im Beruf – vielleicht regelrecht in eine Verteidigungsrolle gedrängt, weil viele Ernährungsthemen so „weich“, so schwer fassbar und überlappend, im naturwissenschaftlich-reduktionistischen Sinn nicht sauber definiert sind. Wieviel leichter haben es doch (dem Anschein nach) die Medizin oder gar die Physik!
Aber die Herausforderung, die in diesem großen Facettenreichtum der Ernährungsforschung steckt, ist zugleich ihr großer Trumpf: alle Teildisziplinen im Blick behalten und daran arbeiten, das komplexe Gesamtbild zu schärfen und zu erkennen, was die Ernährung für uns Menschen ausmacht. Darin steckt ein enormes Potenzial für Prävention, Therapie und letztlich Lebensqualität1. Wenn wir nicht den Fehler machen, alle Ernährungsfragen mit den jeweiligen Mode-Themen (personalisierte Ernährung, Metabolomics, Systembiologie usw.) allein erklären zu wollen, sondern deren Anteil zur Beantwortung von Forschungsfragen sinnvoll zusammenführen, ist das ein guter Weg.
Die aktuelle Weltsituation2 kommt dabei wieder auf Grundsatzfragen der Ernährungswissenschaft zurück, die wir zumindest in Deutschland seit über 70 Jahren schon fast als Luxusdebatte angesehen haben: Wieviel Nahrungsenergiezufuhr und wieviel Nährstoffe sind nötig, um eine Bevölkerung am Leben und möglichst gesund zu erhalten – und welche politischen und ethischen Handlungen sind nötig, sollen alle von allem etwas bekommen? Dies betrifft mehr denn je jede unserer täglichen beruflichen und Alltagsentscheidungen.

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 Der Begriff QALY (Quality-Adjusted Life Year/Qualitätskorrigiertes Lebensjahr) versucht, das aus einer „volkswirtschaftlichen“ Betrachtungsweise numerisch fassbar zu machen.
2 Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen meldet erstmals über 100 Mio. flüchtende Menschen auf der Welt.



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 6/2022 auf Seite M289.

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