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Online News: Neue Studienergebnisse zur Ernährungsarmut in Europa

  • 12.06.2024
  • News
  • Redaktion

Das Interesse an Ernährungsarmut in den europäischen Ländern findet schrittweise Anerkennung in Politik und Forschung. Die kürzlich veröffentlichte Übersichtsstudie von Carillo-Alvarez fasst aktuelle Erkenntnisse über Ernährungsarmut in Europa in Bezug auf Prävalenz, Folgen sowie aktuelle Strategien zur Abhilfe zusammen, um darauf aufbauend sowohl Herausforderungen als auch Möglichkeiten für Ernährungsfachkräfte abzuleiten [1].

Die Analyse der Prävalenz zur Ernährungsarmut zeigt für die europäische Allgemeinbevölkerung Werte zwischen 5 und 20 %, wobei höhere Werte bei Frauen, Kindern, älteren Erwachsenen, Alleinerziehenden sowie Personen mit niedrigem Bildungsniveau und mit geringem oder unsicherem Einkommen festgestellt wurden. Bei den Empfängern von Unterstützungsangebote zur Nahrungsmittelversorgung liegt die Prävalenz sogar bei über 70 %. Auf nationaler Ebene zeigte sich für das Jahr 2021 in Deutschland eine Prävalenz von bis >10 %, höher als beispielsweise in den Niederlanden, Spanien oder Schweden, die nur <5 % zeigen.

Zu den Maßnahmen zur Bekämpfung einer unsicheren Lebensmittelversorgung gehören viele wohlfahrtspolitische Maßnahmen und Nahrungsmittelhilfeprogramme auf regionaler und nationaler Ebene. Die meisten derzeitigen Strategien sind jedoch weder erfolgreich bei der Bekämpfung der strukturellen Ursachen der Ernährungsarmut, noch gewährleisten sie eine ausreichende Qualität der Ernährung.

Langfristig, so folgert Carillo-Alvarenz, bedarf es zur Realisierung einer Ernährungssicherheit in Europa der Implementierung von Maßnahmen, die jedem Individuum unabhängig von seinen sozioökonomischen Umständen regelmäßigen Zugang zu ausreichenden, sicheren und nährstoffreichen Lebensmitteln ermöglichen. Dieser Zugang muss auf sozialverträgliche Weise erfolgen.

Folgende Aspekte werden als hierfür erforderlich aufgeführt:

  • Monitoring- und Screening-Systeme: Es bedarf der Etablierung von Monitoring- und Screening-Systemen, um Ernährungsarmut frühzeitig zu erkennen und konkret zu adressieren.
  • Beseitigung struktureller Bedingungen: Strukturelle Bedingungen, die Ernährungsarmut begünstigen, wie Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, niedrige Löhne und mangelnde Erschwinglichkeit gesunder Ernährung, müssen beseitigt werden.
  • Nahrungsmittelsicherheitsnetz: Ein Nahrungsmittelsicherheitsnetz muss implementiert werden, dass kurzfristig einen menschenwürdigen und sozialverträglichen Zugang zu Nahrungsmitteln gewährleistet.
  • Ernährungskompetenz: Maßnahmen sind erforderlich, um sicherzustellen, dass Menschen, die von Ernährungsarmut betroffen oder bedroht sind, sowie die Allgemeinbevölkerung über angemessene Ernährungskompetenz verfügen, um die verfügbaren Lebensmittel optimal zu nutzen.
  • Recht auf Ernährungsversorgung: Menschen, die von Ernährungsarmut betroffen sind, sollte das Recht auf eine ausreichende Versorgung garantiert werden.

Die Studie unterstreicht, dass es zur Bewältigung der Ernährungsarmut in Europa eine systemische und transdisziplinäre Herangehensweise bedarf. Mit einer unsicheren Verfügbarkeit von Lebensmitteln sind bedeutende gesundheitliche Folgen verbunden. Ernährungsfachkräfte können, aufgrund ihres primären Fokus auf Lebensmittel und Ernährungsweisen, daher eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Ernährungsarmut in Europa spielen.

Die Studie von Carillo-Alvarenz führt vier Bereiche auf, die Ernährungsfachkräfte forcieren sollten:

  1. Sensibilisierung für das Vorhandensein und die schweren Folgen von Ernährungsarmut sowohl innerhalb als auch außerhalb des eigenen Berufsstandes.
  2. Eintreten für den Aufbau einer umfassenden und solide Datenbasis über die Determinanten und die Prävalenz von Ernährungsarmut.
  3. Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen, Sozialhilfeanbietern, lokalen Behörden und Nichtregierungsorganisationen in einem umfassenden, sektorübergreifenden und integrierten Ansatz.
  4. Beteiligung an der Entwicklung von politischen Instrumenten und Maßnahmen, die einen gleichberechtigten Zugang zu hochwertigen und sicheren Lebensmitteln gewährleisten.

 

Quelle:
1. Carrillo-Álvarez E: Perspective: Food and Nutrition Insecurity in Europe: Challenges and Opportunities for Dietitians. Komp Nutr Diet 2024; 4(1): 3–13. https://doi.org/10.1159/000537855


 

Lesen Sie in Zusammenhang mit diesen Studienergebnissen auch die folgenden Artikel, die in der Ernährungs Umschau 5/2023 bereits erschienen sind:

Ernährungsarmut in Deutschland: Ein vernachlässigtes Problem, das politisches Handeln erfordert! In der Ernährungs Umschau 5/2023, Seiten M304 bis M307.

„Das Thema Ernährungsarmut ist wichtig und muss oben auf der Agenda stehen!" - Interview mit Prof. Dr. Regina Birner & Prof. Dr. Jakob Linseisen, Seiten M308 bis M310.

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