Für mehr Body Neutrality, mehr wahrnehmen und mehr Körperbewusstsein – weg von krassem Body Shaming oder erzwungener Body Positivity. iStock © ANASTASIIA DMITRIEVA/iStock/Getty Images Plus

Aktuell im Heft: Body Neutrality

  • 14.03.2022
  • News
  • Stella Glogowski

Body Positivity und Selbstliebe statt Body Shaming? Oder doch lieber „weniger Körper“ und mehr „Body Neutrality“? Mit diesen Gedanken und Konzepten rund um Körperbewusstsein hat sich unsere stellvertretende Redaktionsleiterin Stella Glogowski in ihrem Nachschlag in der Märzausgabe beschäftigt.

Ich war noch nie ein großer Fan der Body Positivity-Bewegung: Seinen Körper vollumfänglich lieben, jeden Teil, jede Einschränkung, Entwicklung und Erkrankung, jedes Gewicht, alles was einen evtl. von der „Mehrheitsgesellschaft“ oder bestimmten „Schönheitsidealen“ unterscheidet.
Wenn jemandem das möglich ist, so ausnahmslos wohlwollend und liebevoll mit sich umzugehen – prima. Bei vielen Menschen erzeugt der wachsende Anspruch sich selbst zu lieben jedoch Druck, Hoffnungslosigkeit, bis hin zu Selbsthass, wenn „mir auch das wieder nicht möglich“ ist. Alles am eigenen Körper lieben, sogar Teile oder Eigenschaften, die man bislang eher abgelehnt oder gar nicht wahrgenommen hat: vom Bauch über den mittleren Zeh, die Kniekehle bis zum Hinterkopf… Vielleicht schäme ich mich für ein Körperteil, und dann schäme ich mich wiederum dafür, dass ich mich schäme/unzufrieden bin... Eine negative Body Positivity-Spirale?
Der Anspruch an Selbstliebe und Body Positivity kann sogar eine Form von sog. toxischer Positivität sein, die die Realität verleugnet, alles zwanghaft als positiv (um)deutet, keinen Platz lässt für Authentizität und vermeintlich „unliebsame“ Emotionen wie Trauer, Angst, Unzufriedenheit, Scham, Wut und Veränderungswillen.1
Ich finde: Wir müssen unseren Körper weder lieben noch hassen, müssen weder ein Sixpack haben noch unseren Speck hervorholen und in die Insta-Kamera halten. Wichtig ist doch, dass wir unseren Körper bewusst wahrnehmen und uns klar machen, dass er mehr ist als eine Oberfläche. Würden wir in einer Welt, die weniger auf Optik und Optimierung fixiert ist, noch fordern, jedes Körperteil zu lieben? Lasst uns doch vielmehr fragen: Was ist meinem Körper möglich? Welche Bewegungen? Hüpfen, rennen, schwimmen, beugen, strecken… Welche Sinneseindrücke kann ich empfinden? Schmecken, hören, riechen, genießen, Berührungen… Welche Vorgänge laufen in meinem Körper ab? Atem, Herzschlag, Verdauung, Wunden heilen, Infekte abwehren… Welche Gedanken und Gefühle beheimatet mein Körper, welche kommen, welche gehen?
Kein Body Shaming und keine erzwungene Selbstliebe. Autorin Sophie Passmann forderte 2020 in ihrer Kolumne in der ZEIT „Body Gleichgültigkeit“2 – das würde ich jedoch noch weiterspinnen: hin zu achtsamem „Body Gleichmut“, denn egal soll einem der eigene Körper ja auch nicht sein. Zu diesem Gedanken ist mir Body Neutrality begegnet: Nicht hassen, nicht lieben, aber auch nicht vernachlässigen. Entstehen kann so ein Körperbewusstsein, also sich des Körpers bewusst sein. Spüren, wahrnehmen, sich annehmen mit den als gut und weniger gut empfundenen Eigenschaften. Und: Wir dürfen unsere Körper auch verändern wollen. Ich muss nicht alles perfekt finden, nicht alles an mir muss großartig sein. Daraus kann eine Freundschaft zum eigenen Körper entstehen, vielleicht auch Liebe – muss aber nicht.

Herzlichst Ihre
Stella Glogowski

1 Goodman W: Toxic Positivity. Keeping it Real in a World Obsessed with Being Happy. Tarcher Perigee: Penguin Random House 2022.
2
Passmann S: Body Positivity. ZEIT. 23. September 2020.

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