Gibt es einen Zusammenhang zwischen Corona-Infektion und Diabeteserkrankung? © Irina_Geo /Getty Images Plus/iStock

Diabetes mellitus: Auswirkungen der Pandemie auf die Patientenversorgung und die Neuerkrankungsrate

  • 18.03.2022
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  • Redaktion

Wie gut wurden Menschen mit Diabetes während der Lockdown-Phasen medizinisch betreut? Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf ihre Lebenssituation und ihre Gesundheit? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen Corona-Infektionen und einer steigenden Inzidenz von Diabeteserkrankungen bei Kindern? Erste Antworten auf diese Fragen hat die Deutsche Diabetes Stiftung (DDS) durch die Förderung mehrerer Projekte und Studien, die diese Fragestellungen bereits im ersten Pandemie-Jahr zum Forschungsgegenstand hatten, nun auf einer Online-Pressekonferenz am 16. Februar vorgestellt.

Gerade während des ersten Lockdowns standen Menschen mit chronischen Krankheiten nicht alle gewohnten Versorgungsangebote (z. B. Präsenz-Sprechstunden und Schulungen) und die notwendige medizinische Betreuung zur Verfügung. Teilweise wurden sie aus Angst vor Ansteckung auch von den PatientInnen selbst gemieden. „Speziell bei Diabetespatienten kommt hinzu, dass sie einer Risikogruppe für einen schweren COVID-Verlauf angehören“, sagt Professor Hans Hauner, Vorstandsvorsitzender der DDS und Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums am TUM-Klinikum rechts der Isar und am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Neben möglichen Folgen für die Stoffwechselgesundheit sei daher auch mit einer höheren psychischen Belastung durch die Pandemie zu rechnen gewesen.

Erfreulicherweise bestätigten sich diese Befürchtungen in den vorgestellten Studien nicht. Die Rate psychischer Störungen blieb unverändert. Zudem zeigte einer der DDS-geförderten Studien, dass Menschen mit einem Typ-2-Diabetes nach dem ersten Lockdown weder eine schlechtere Stoffwechseleinstellung aufwiesen noch einen höheren BMI hatten. Insgesamt seien Menschen mit Diabetes gut durch die Lockdown-Phasen gekommen, so Hauner.

Das liege daran, dass sie bereits gelernt hatten mit ihrem Diabetes umzugehen und daher ihre Krankheit auch während der Pandemie routiniert bewerkstelligen konnten. Auch aufseiten der medizinischen Versorger sei in kurzer Zeit viel bewegt worden, betont Hauner: Diabetesberatungen und -schulungen wurden auf digitale Formate umgestellt, und auch in der ärztlichen Betreuung konnte der Wegfall von Praxisbesuchen zumindest teilweise durch telefonische oder Videokontakte aufgefangen werden. Der Schub, den die Telemedizin durch die Pandemie bekommen habe, werde PatientInnen und medizinischemn Personal langfristig zugutekommen und Versorgungslücken schließen, so Hauner. Jedoch müssen Menschen auch den Zugang zur Telemedizin haben und die Möglichkeiten nutzen können.

Auffällige Pandemie-Effekte gab es jedoch im Bereich der Typ-1-Neuerkrankungen. Bei Kindern unter sechs Jahren traten vermehrt Ketoazidosen auf. Die DDS-geförderten Studien gaben Hinweise darauf, dass ein beginnender Typ-1-Diabetes während der Pandemie häufig erst verspätet diagnostiziert wurde, weshalb es bei einem unerkannten und daher unbehandelten Diabetes zu diesen schweren Stoffwechselentgleisungen kam.
Weiterhin kam es rund drei Monate nach den COVID-19-Wellen zu einem deutlichen Anstieg der Typ-1-Inzidenz. Die Zahl der Neuerkrankungen nahm in diesen Phasen vorübergehend um rund 15 % zu – im Vergleich zum vorpandemischen Niveau. Hierzu ging eine aktuelle europäische Studie, die im Journal „Diabetes Care“ erschienen ist, der Frage nach einem Zusammenhang zwischen Corona-Infektion und Diabeteserkrankung nach. Bereits zu Beginn der Pandemie untersuchten die AutorInnen auf Grundlage des DPV-Registers (Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation), ob Kinder und Jugendliche ein erhöhtes Risiko für einen Diabetes Typ 1 haben.
Während zum damaligen Untersuchungszeitpunkt kein signifikanter Unterschied festgestellt werden konnte, konnte das Forschungsteam nun nach zwei Jahren Pandemie eine deutliche Zunahme der Inzidenz beobachten. „Worauf diese Häufungen zurückzuführen sind, ist noch weitgehend unklar“, sagt Hauner. Ein kausaler Zusammenhang ließe sich daraus aber nicht ableiten, betont Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Stellvertretender Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Tübingen.
Vor allem indirekte Effekte der Pandemie – wie etwa psychische Belastungen, Stress und Isolation während der Pandemie – kommen als mögliche Ursachen in Frage. Die AutorInnen der Studie selbst erachteten die Zunahme auch eher als einen indirekten Effekt. Es müssen noch weitere Langzeitstudien mit verlässlichen Daten durchgeführt werden, erklärt Hauner. Das DPV-Register biete dafür eine solide und umfangreiche Basis. Auch ein von der DDG seit Jahren gefordertes Nationales Diabetesregister sowie die elektronische Diabetes Akte (eDA) würde künftige Auswertungen deutlich verbessern und erleichtern sowie die Daten aus dem DPV-Register sinnvoll ergänzen.

Hauner schlussfolgerte auf der Pressekonferenz, dass die Pandemie die Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus erschwerte, die Herausforderungen von den Betroffenen und den GesundheitsdienstleisterInnen jedoch gut beherrscht werden konnten. Vorhandene Routinedaten müssten für die Optimierung der Versorgung künftig systematisch genutzt werden. Auch eröffnen sich durch den Einsatz der Telemedizin neue Perspektiven für eine verbesserte Diabetesversorgung.


Quellen:
- Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG): Menschen mit Diabetes Typ 1 und 2: Stabil durch die Pandemie. Pressemeldung vom 16. Februar 2022 - Deutsche Diabetes Stiftung (DDS): Online
- Pressekonferenz: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Neuerkrankungen und die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes - Ein Bericht aus dem multizentrischen DPV-Register

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