Der Süßwasserpolyp Hydra entwickelt Tumore, wenn sich eine bestimmte fremde Bakterienart aus der Gruppe der Spirochäten gehäuft in seinem Mikrobiom einnistet und damit das Gleichgewicht der Bakterienbesiedlung stört. © Kiel Life Science

Neue Forschungserkenntnisse: Wie das Mikrobiom an der Entstehung von Krebs beteiligt ist

  • 30.03.2020
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  • Redaktion

Mit steigender Tendenz erkrankt jeder zweite bis dritte Mensch in den Industrienationen im Laufe seines Lebens an Krebs. Dass Viren und Bakterien als Ursache in Frage kommen, ist seit Längerem bekannt. Drei Viren und ein Bakterium sind dabei Risikofaktoren: das humane Papillomavirus, die humanen Hepatitisviren B und C sowie das Magenbakterium Helicobacter pylori.

Ein Forscherteam um Professor Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) untersuchte nun, ob auch das physiologische Mikrobiom eine Rolle bei der Krebsentstehung spielt. Die Forschungsergebnisse des CAU-Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ veröffentlichte das Kieler Team am 19. März in der Fachzeitschrift PLOS Pathogens.

Die ForscherInnen konnten am Beispiel des einfach organisierten Süßwasserpolypen Hydra zeigen, dass nach einer umweltbedingten Störung der normalen Bakteriengemeinschaft das Gewebe eines Wirtslebewesens von Bakterien aus der Umwelt besiedelt werden kann. Der Kontakt mit dort bereits vorhandenen Mikroorganismen führt dann zur Bildung von Faktoren, die eine schädigende Wirkung auf die Zellstrukturen haben und letztendlich die Tumorentstehung auslösen.

„Wir vermuten, dass Krebs eine Begleiterscheinung der Entstehung der Vielzelligkeit früh in der Evolution des Lebens ist“, betont Dr. Alexander Klimovich, Wissenschaftler in der Zell- und Entwicklungsbiologie an der CAU und Leiter der Studie. „Da alle vielzelligen Organismen zudem ein Mikrobiom besitzen und sich mit ihren mikrobiellen Symbionten über Millionen von Jahren gemeinsam entwickelt haben, liegt eine Beteiligung der Kleinstlebewesen auch an der Entstehung von Krebs nahe“, so Klimovich weiter.

In Laborexperimenten konnte der Doktorand Kai Rathje in Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam eine solche ursächliche Beteiligung nun konkret für einzelne Bakterienarten und deren Interaktionen innerhalb des Mikrobioms der Nesseltiere nachweisen. „Hydren erkranken an Krebs, wenn sich eine bestimmte fremde Bakterienart aus der Gruppe der Spirochäten gehäuft im Mikrobiom einnistet und damit das Gleichgewicht der Bakterienbesiedlung in ihrem Gewebe stört“, betont Klimovich. „Interessanterweise entfalten diese Bakterien ihre schädliche Wirkung nur in Anwesenheit bestimmter anderer Bakterien aus der Gattung Pseudomonas, die zur normalen Zusammensetzung des Mikrobioms gehören“.

An der Tumorbildung bei den Nesseltieren sind also eine Interaktion von Mikrorganismen untereinander beteiligt und – als erster Impuls – auch der Einfluss der Umwelt: Die Tiere nehmen die schädlichen Spirochäten zunächst aus dem Umgebungswasser auf. Eine Besiedelung des Wirtsgewebes gelingt den eindringenden Bakterien aber nur, wenn das Gewebe der Hydren durch veränderte Umweltfaktoren bereits geschwächt ist. Hierzu zählen eine geänderte Temperatur und in der Folge auch eine geänderte mikrobielle Besiedelung.

Die Forschenden konnten experimentell belegen, dass Spirochäten und Pseudomonas-Bakterien aus dem natürlichen Mikrobiom miteinander interagieren und beide dadurch ihr Verhalten drastisch ändern: Bei ihrem Aufeinandertreffen wandeln die Bakterien ihre Bewegungsmuster ab und suchen den direkten Kontakt. In der Folge beginnen sie auch unterschiedliche Erbinformationen abzurufen und aktivieren dabei insbesondere Faktoren, die eine krankmachende Wirkung für das Wirtslebewesen haben.

Durch diese Veränderungen gerät das mikrobielle Gleichgewicht im Gewebe der Nesseltiere durcheinander. Es folgen strukturelle Veränderungen in den Zellen und schließlich die Tumorbildung. Wie diese Wechselwirkungen auf molekularer Ebene ablaufen und welche konkreten biochemischen Mechanismen an dieser Form der Krebsentstehung beteiligt sind, ist Gegenstand derzeit laufender Untersuchungen.


Quellen:
Rathje K. (2020) Dynamic interactions within the host-associated microbiota cause tumour formation in the basal metazoan Hydra. PLOS Pathogens 16(3)
Pressemitteilung des Collaborative Research Centre 1182 vom 19.03.2020

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