© scyther5/iStock/Getty Images Plus
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Neue Potenziale erschließen: Vom Seminar zum Webinar

In diesem Interview haben wir mit Ernährungsfachkraft Barbara Contzen darüber gesprochen, wie sie ihre Präsenz-Seminare auf Webinare umstellt. Im exklusiven Online-PLUS-Interview erfahren Sie, welches Wissen und welche Kompetenzen hierfür nötig sind, welche Stolpersteine es gibt und was hilfreich ist bei der Gestaltung von Webinaren.

 

Liebe Frau Contzen, neben Ihrer Tätigkeit als Ernährungsberaterin und -therapeutin haben Sie letztes Jahr mit Ihren „Contzen Seminaren“ gestartet: zertifizierte Veranstaltungen für Ernährungsfachkräfte, die Menschen mit Nierenerkrankungen und/oder Hypertonie betreuen. Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeitslage ausgewirkt?
Die Corona-Pandemie ist ursächlich verantwortlich dafür, dass viele Präsenz-Seminare abgesagt werden mussten. Mir ist schnell bewusst geworden, dass die Veränderungen, die durch die Corona-Krise entstanden sind, nicht nur vorübergehender Natur sind.
Mehr und mehr wurde deutlich, dass das Internet enorme Chancen bereitstellt, wenn persönliche Präsenz ausscheidet. Also bietet sich die Möglichkeit an, Präsenz-Seminare durch Online-Webinare zu ersetzen.
Die durch Stornierungen „gewonnene“ Zeit erlaubte mir die umfassende Beschäftigung mit den neu auf uns zukommenden Aufgaben. Das war eine Herausforderung, die mir anfangs nicht leichtfiel, aber durch die Faszination der neuen virtuellen Welt schnell überwunden war. So qualifizierte ich mich zum zertifizierten Live-Online-Trainer bzw. Webinartrainer.

Was braucht es grundsätzlich, um als Anbieterin von Präsenz-Seminaren auf Webinare umzustellen?
Umdenken! Kreativität! Webinare sind keine Seminare, die online abgehalten werden. Webinare zu präsentieren, bedeutet den Willen aufzubringen, Lerninhalte komplett neu zu konzipieren und medial aufzubereiten. So gibt es bspw. Patienten mit verschiedenen Erkrankungen wie z. B. Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämie, Hyperurikämie usw. Im Webinar ist es aber nicht hilfreich, Listen der jeweiligen Erkrankungen nebst Symptomen zu präsentieren. Dies bedeutet zu viel Text und Redundanz. Hier kommt stattdessen eine Interaktion in Betracht. Die Ergebnisse können dann auf einem Whiteboard gesammelt und mittels eines Schnittmengenbilds visualisiert werden.
Ein zentraler Punkt besteht darin, als Trainerin oder Trainer die Fähigkeit zu entwickeln, die fehlende soziale Präsenz virtuell zu ersetzten. Dazu gehört neben dem Einsatz einer bildhaften Sprache auch die Kenntnis darüber, wie komplexe Themen mittels Visualisierung vermittelt werden können.
Webinare sind keine Tagesveranstaltungen. Die Fokussierung auf das Wesentliche sollte binnen 60 bis max. 90 Minuten vermittelt werden. Zudem sollten eine einwandfreie Hardware, Computer, Mikro, Lautsprecher und ein belastbares Internet selbstverständlich sein.
Ich kann nur jedem empfehlen, sich qualifiziert schulen zu lassen oder sich wenigstens intensiv mit diesen neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.

Ein Webinar ist also mehr, als ursprünglich für Präsenz konzipierte Seminarinhalte 1:1 online zu präsentieren – etwa indem man die Inhalte an Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschickt oder schlichtweg als Videokonferenzen vorträgt! Wie kann ein Webinar aufgebaut sein?
Ja, das stimmt. Wichtig ist zunächst, dass neben der soeben angesprochenen eigenen Technik auch die Technik der Teilnehmer verlässlich funktioniert. Dafür wird ca. 1 Woche vor Beginn des Webinars eine sog. Check-in-Session mit einem Technik-Check terminiert. Funktionen wie Computer, Mikro, Lautsprecher, ausreichende Internetverbindung etc. werden getestet. So sollte das Webinar am Webinartag ohne Startschwierigkeiten beginnen können. Schwachpunkte wie labiles Internet oder ungeeignete Software können dann bis zur Durchführung evtl. noch nachgebessert werden.
Der Webinartrainer muss bei der Ankündigung des Webinars die Zielgruppe genau definieren, damit sich Teilnehmer mit gleichem Interesse und möglichst mit vergleichbarem Wissenstand im Webinar zusammenfinden. Dies sorgt sowohl für ein gutes Arbeitsklima als auch für einen erfolgreichen Lernerfolg zum Abschluss des Webinars. Auch eine Obergrenze für die Teilnehmerzahl kann Sinn machen, bspw. maximal 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um effektiv miteinander arbeiten zu können. Die Begrenzung ist auch deshalb sinnvoll, damit die Teilnehmenden alle die Möglichkeit bekommen, Fragen zu stellen oder eine Aufgabenstellung allein oder in einer Kleingruppe zu bearbeiten und vorzutragen.
Folgende Fragen sollte sich der Webinartrainer vorab stellen: Welche Lerninhalte sollen vermittelt werden? Was ist das Ziel des Webinars? Wie erfolgt der Einstieg ins Webinar? Welche Materialien benötige ich zur Durchführung? Wie gestalte ich einen gelungenen Ausstieg aus dem Webinar?

Welche Kompetenzen erachten Sie als grundlegend, um Webinare anbieten zu können?
Ein Webinar kann Bestandteil des Blended Learnings sein, also eines Lernmodells, in dem computerunterstütztes Lernen (E-Learning) in einem Webinar mit klassischem Unterricht oder auch einem Präsenz-Seminar kombiniert werden kann.
Die Kompetenzen, die notwendig sind, liegen zum einen in der Qualität des Trainers/der Trainerin und zum anderen in der Auswahl des genutzten „Tools“ (Werkzeug, Webinar-Software), das angeboten wird.
Im Moment stehen viele Webinar-Tools auf dem Markt zur Verfügung. Jeder Anwender und jede Anwenderin bzw. Trainer/Trainerin muss selbst entscheiden, welches Werkzeug für die Arbeit das geeignete ist. Vergleichbar ist dies mit der Auswahl eines Schuhs. Wozu brauche ich ihn? Was will ich damit erreichen? Zum Bergwandern? Zum Tanzen, für den Sport?
Meist sind die Angebote ähnlich, aber sie unterscheiden sich in Leistungen. So bieten z. B. nicht alle Entwickler von Webinar-Software die Möglichkeit an, dass das Webinar aufgezeichnet werden kann. Auch kann es auch vorteilhaft sein, wenn man sogenannte virtuelle Gruppenräume bilden kann, in denen die Teilnehmer „alleine“ vom Trainer/von der Trainerin zugeteilte Aufgaben an einem bereitgestellten Whiteboard (Flipchart) erarbeiten, die sie dann später der Gruppe präsentieren können.
Jeder Webinartrainer bzw. -trainerin sollte entscheiden, welchen Anbieter er für die spezielle Zielgruppe benötigt, um die angestrebten Lerninhalte erfolgreich transportieren zu können. Die Qualität des/der Webinartrainers/in bemisst sich an der Fähigkeit, die fehlende reale und soziale Präsenz durch eine virtuelle Präsenz zu ersetzten. Kann etwa der fehlende Blickkontakt zu den Teilnehmern durch den Einsatz verschiedener Methoden, wie z. B. Interaktionen, ausgeglichen werden? Hierzu wird eine hohe Empathieleistung vom Trainer/von der Trainerin erwartet. Außerdem sollte der Trainer/die Trainerin wie beim AUtofahren den Einsatz der Technik „blind“ beherrschen. Dies erfordert einiges an Übung und Erfahrung.
Gewünschtes Ziel ist es, die Teilnehmer immer (!) auf der richtigen „Flughöhe halten zu können“!

Welche Hürden sind Ihnen begegnet?
Das UMDENKEN! Die Fähigkeit, Didaktik und Methodik virtuell umzusetzen! Sich in andere Techniken einzudenken und einfühlen, klingt einfacher als es ist.
Gewöhnungsbedürftig ist auch die Tatsache, dass man die Teilnehmer im Webinar nicht persönlich kennen lernt. Beispielsweise findet kein gemütlicher „After-Work“-Austausch statt
Und: Als Selbstständige arbeite ich für verschiedene Auftraggeber. Leider benutzten diese jeweils ihr „eigenes“ Werkzeug. Also muss ich mich in verschiedene Softwarefunktionen einarbeiten, sodass ich mich hoffentlich bald „mit allen Autos“ bzw. Softwares blind zurechtfinde.

Was ist für die Vorbereitung und das Durchführen von Webinaren hilfreich?
Zunächst wird das Drehbuch als roter Faden erstellt: Was ist das Thema? Was soll vermittelt werden? Wer sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen? Und so weiter.
Danach ist ein Trainerleitfaden zu schreiben, der auf die Minute genau ausgearbeitet werden muss, denn das exakt abgesteckte Zeitmanagement (wann was gemacht und erledigt sein soll) trägt mit dazu bei, dass das Webinar gelingt – oder auch nicht.
Hilfreich ist die Hinzunahme eines Co-Moderators oder einer Co-Moderatorin, der oder die z. B. die Einführung hält, die Teilnehmer begrüßt, den/die TrainerIn kurz vorstellt. Das vermittelt persönliche Nähe und das Gefühl zu einer Gruppe zu gehören, die dann zu einem Team zusammenwachsen kann.

Und zu guter Letzt: Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile eines Webinars, warum lohnt sich der Aufwand?
Ein Webinar kann alleine stehen oder als Baustein eines Blended Learnings eingebunden werden.
Vorteile des Webinars sind die zeitliche Eingrenzung (60 bis max. 90 Minuten). Für diese überschaubare Zeitspanne ist es leichter möglich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen, als für ein zeitraubendes oft mehrtägiges Präsenzseminar.
Die Durchführung von Wissens- und Praxistransfer ist örtlich ungebunden und zeitlich unabhängig. Im gut geführten Webinar ist ein Erfahrungsaustausch innerhalb der Lerngruppe durchaus zu realisieren und am Ende spürbar.
Diese Punkte fördern eine flexiblere Planung. Somit können Webinare auch recht kurzfristig angeboten und durchgeführt werden, auch mal außerhalb der regulären Arbeitszeit.
Zudem werden Ressourcen wie Fahrtzeit, Reise- und Übernachtungskosten etc. eingespart.
In der Kürze liegt die Würze!

Liebe Frau Contzen, vielen Dank für das inspirierende Gespräch!
Das Interview führte Stella Glogowski.

 

Barbara Contzen, Diätassistentin
Meine Ernährungswerkstatt
Bergisch Gladbach
info@meine-ernaehrungswerkstatt.de
www.meine-ernaehrungswerkstatt.de

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