Vitamin B12 und vegane Ernährung war das Thema des ersten Young Scientist Workshop der Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung. © conceptw/123rf

GVF-Workshop: Vegane Ernährung und Vitamin B12

Anfang Oktober veranstaltete die Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung (GVF) in Fulda erstmals einen zweitägigen Young Scientist-Workshop. Als Thema wählten die VeranstalterInnen Dr. Maria Wallert, Prof. Marc Birringer und Prof. Dr. Manfred Eggersdorfer „Vegane Ernährung und Vitamin B12“. Knapp 30 StudentInnen und junge WissenschaftlerInnen nahmen an der vom Lebensmittelverband Deutschland e. V. gesponserten Veranstaltung teil

Vitamin B12: Grundlagen

Grundlagen zu Cobalamin, dem Vitamin B12 (VB12), vermittelte Prof. Manfred Eggersdorfer (GVF und University of Groningen). Nicht nur für sich vegetarisch und vegan ernährende Menschen ist VB12 ein kritischer Nährstoff, sondern besonders oft für ältere Menschen. Synthetisiert wird es von Mikroorganismen und ist in tierischen, z. T. auch in fermentierten, Produkten enthalten. Die menschliche Darmmikrobiota synthetisiert zwar auch geringe Mengen VB12, jedoch ist dies im Kolon nur begrenzt absorbierbar.
Seine Halbwertszeit beträgt 450–750 Tage. VB12 ist licht- und hitzeempfindlich und reagiert empfindlich auf Sauerstoff und alkalische Umgebung. Zur Absorption ist der in den Belegzellen des Magens gebildete Intrinsic Factor (IF) nötig; nur ca. 1 % wird über passive Absorption aufgenommen. Mit steigender Zufuhr sinkt die Absorption prozentual. Einige Medikamente können die Absorption reduzieren. Besonders bei älteren Menschen und Personen, die Magensäureblocker nehmen, sollte die Versorgung überprüft und ggf. mit einem Supplement verbessert werden.

Analytik

Prof. Marc Birringer (HS Fulda) erläuterte den TeilnehmerInnen die komplexe Biochemie und daraus erwachsende analytische Hürden bei der Bestimmung von VB12. Als derzeit bester Statusmarker gilt die Holotranscobalamin-Konzentration im Blut (Sollwert: 70–125 pmol/L). Cobalamin (total) sollte 310–1 100 pg/mL bzw. 229–812 pmol/L betragen. Sind diese Werte im unteren Grenzbereich, werden weitere analytische Marker herangezogen: Die Metabolite Methylmalonsäure (MMA) im Urin (Sollwert: < 300 nmol/L bzw. 9–32 µg/mL) und Homocystein (Sollwert: < 10 µmol/L). Zu den diagnostischen Fallstricken zählt u. a. eine Folsäuresupplementation. Diese und weitere Faktoren können einen bestehenden VB12-Mangel maskieren.
Das in Algen enthaltene Pseudocobalamin hat eine niedrige Affinität zum IF, ist also schlechter bioverfügbar und trägt nicht wesentlich zur VB12-Versorgung bei. Zudem ist nicht genau bekann, welche biochemische Funktion Pseudocobalamin in Zielzellen hat. Vom Verzehr von Algen mit sehr hohem VB12-Gehalt riet Prof. Birringer darüber hinaus v. a. aus hygienischen Gründen ab: Solche Algen können mit Bakterien kontaminiert sein, die für den VB12-Gehalt verantwortlich sind, und stellen daher keine sicheren Lebensmittel dar.
Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich u, a. mit der VB12-Anreicherung von Lebensmitteln mit durch Bakteriensuspensionen bspw. in Brotteig und mit der methodisch aufwändigen VB12-Analytik in Lebensmitteln.

Vegane Ernährung

Prof. Markus Keller (FH des Mittelstands) verdeutlichte, dass nicht nur VeganerInnen, sondern auch VegetarierInnen und unter ihnen besonders Frauen und (werdende) Mütter, Kinder und ältere Menschen regelmäßig – etwa einmal jährlich – ihren VB12-Status ärztlich checken lassen sollten. Noch in der Diskussion steht, wie viel VB12 bei fehlender/geringer Zufuhr oder zu geringer Absorption supplementiert werden müsse: zweimal täglich 50 µg? Einmal wöchentlich eine sehr hohe Dose von 1 mg? Hierzu sind weitere Forschung und einordnende Stellungnahmen von Fachgesellschaften nötig.

Vitamin B12 im Alter

Prof. Helmut Heseker (Uni Paderborn), legte dar, dass besonders im Alter die VB12-Versorgung überprüft werden sollte, da oftmals mehrere Mangelursachen gleichzeitig bestehen: Mundtrockenheit, zu wenig Magensäure und Pepsin oder Einnahme von Magensäureblockern (wodurch VB12 nicht aus Proteinen ausreichend freigesetzt werden kann), zu geringe IF-Konzentrationen, verringerte Gallensäuresezernierung u. v. m. Daher sollte auch nicht die Zufuhr, sondern die Versorgungssituation anhand klinisch-chemischer Messwerte beurteilt werden, welche auch evtl. Absorptionsstörungen berücksichtigen. Über die Kostenfrage im Gesundheitssystem für solche Diagnostik, ab wann, für wen, wie oft, diskutierten die TeilnehmerInnen und ReferentInnen.

DGE-Position „Vegane Ernährung“

Prof. Anja Kroke, HS Fulda, besprach mit den TeilnehmerInnen sehr offen die DGE-Position zu veganer Ernährung. Hinsichtlich des eher zurückhaltenden Konsens in der DGE-Position (vegane Ernährung wird nicht nicht empfohlen) gab sie zu bedenken, dass in den USA, Australien und Großbritannien die Verhältnisse andere sind: zahlreiche angereicherte Lebensmittel bedingen, dass die Nährstoffversorgung in der (veganen) Bevölkerung eine andere Grundlage habe als hierzulande. Zudem untersagt bspw. die EG-Öko-Verordnung die Anreichung von Lebensmitteln wie Pflanzendrinks mit einzelnen Nährstoffen, dies ist nur für konventionelle Produkten erlaubt.

VeganerInnen: In Vergleich zu wem?

Aus epidemiologischer Sichtweise stellte Prof. Kroke nicht nur in Bezug auf die verschiedenen Positionen der Fachgesellschaften wiederholt die Frage: In Vergleich zu wem? Sondern auch: Werden VeganerInnen mit einer theoretisch optimalen Ernährungsweise vergleichen oder mit dem Bevölkerungsdurchschnitt, für den auch bzw. andere Nährstoffe kritisch sind? Hier wurde rege diskutiert, warum zwar VeganerInnen empfohlen wird, regelmäßig den Ernährungsstatus ärztlich überprüfen zu lassen und eine Ernährungsfachkraft zu konsultieren – nicht jedoch der Allgemeinbevölkerung, in der viele auch bzw. gerade unter Mischkost über- und/oder fehlernährt sind.

Vegane Kitaverpflegung

Einblicke in eine der ersten drei veganen Kitas in Deutschland gab Tim Ritzheim, der für seine Bachelorarbeit Speisepläne einer dieser Kitas analysiert hatte. Interessant: Auch ein großer Anteil an „Nicht-VeganerInnen“ melden ihre Kinder in veganen Kitas an. Im Betreuungsvertrag der von Ritzheim ausgewählten Kita wird festgehalten, dass die Eltern bei veganer Ernährung für die VB12-Supplementierung sorgen müssen. Zusammenfassend sprach sich Ritzheim für eine von den entsprechenden Fachgesellschaften erstellte, fundierte Speiseplancheckliste für vegane (Mittags)Verpflegung für Kinder und Jugendliche aus.

Workshops

Am zweiten Tag arbeiteten die TeilnehmerInnen in Kleingruppen mit Primärliteratur und präsentierten ihre Ergebnisse. Der Workshop bot somit die Möglichkeit zur interaktiven Auseinandersetzung mit dem Thema, der wissenschaftlichen Literatur, methodischem Vorgehen und Präsentationsmethoden.

Fazit

Die ReferentInnen vermittelten aktuelles Fachwissen und diskutierten mit den TeilnehmerInnen auch noch nicht abschließend bewertete, in der Fachwelt noch zu „beforschende“ bzw. zu bewertende Topics. Somit bot der Workshop die Möglichkeit zum offenen Austausch mit viel Wissensgewinn. Die Veranstaltung, die perspektivisch einmal im Jahr stattfinden soll, ist Ernährungs-, MedizinstudentInnen und jungen WissenschaftlerInnen angrenzender Disziplinen aber auch DiätassistentInnen und niedergelassenen ErnährungsberaterInnen als Weiterbildung zu empfehlen.
In den regen Diskussionen wurden viele Fragen beantwortet, klar ist jedoch: Es gibt noch viel mehr offene Fragen. Wie viel VB12 sollen VeganerInnen und VegetarierInnen supplementieren, in welcher Dosis und Frequenz? An welche Empfehlungen sollen sich vegan ernährende Menschen halten? Die wachsende Zielgruppe und die mit ihnen arbeitenden Ärztinnen und Ärzte, Ernährungsfachkräfte und in der Gemeinschaftsverpflegung Tätige benötigen wissenschaftlich fundierte, von den Fachgesellschaften herausgegebene Empfehlungen und Beratungsstandards.

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