Editorial 05/03: Ohne Lobby?
- 06.05.2003
- Print-Artikel
- Redaktion
Helmut Erbersdobler, Kiel
Prof. Dr. Helmut ErbersdoblerWem gelten eigentlich unsere Bemühungen in Sachen schmackhafter, vollwertiger und "gesunder", also präventivmedizinisch wirksamer Ernährung? Und erreichen wir alle Zielgruppen mit unseren Aktivitäten? Der Beitrag zur Ernährungssituation von Migranten in dieser Ausgabe der Ernährungs-Umschau lässt hier hinterfragende Nachdenklichkeit aufkommen. Denn in Deutschland leben ca. 10 Millionen Menschen, die ihre Ernährungsgewohnheiten erst allmählich den hiesigen Gegebenheiten anpassen. Was sie essen und trinken und wie sich dies auf ihre Gesundheit auswirkt, ist kaum bekannt. Darüber hinaus gibt es für diese Personengruppe bisher nur sehr wenige Angebote im Bereich der Ernährungsinformation und -beratung.
Dass dringend etwas getan werden muss, zeigen die Ergebnisse der wenigen vorliegenden Studien. So sind beispielsweise Kinder mit sog. "Migrationshintergrund" häufiger übergewichtig als deutsche Kinder. Spätestens nach dem Inkrafttreten eines Zuwanderungsgesetzes sind die Politiker gefordert zu handeln: Sie müssen neben Geldern für die sprachliche und politische Integration der Migranten solche für den präventivmedizinischen Bereich bereitstellen. Ich fordere daher die entsprechenden Institutionen (z. B. Ministerien, DGE, aid, Verbraucherorganisationen) auf, umgehend Konzepte zu entwickeln und Maßnahmen in Gang zu setzen. Dabei helfen können insbesondere die Diätassistenten/innen und Ökotrophologen/innen, die selbst aus Zuwandererfamilien stammen. Sie beherrschen die jeweilige Muttersprache, ihnen sind Denkweisen und Gebräuche der Migranten vertraut und sie werden von ihnen akzeptiert.
Aber mit welchen Maßnahmen lässt sich die Ernährungssituation von Migranten verbessern? Reicht es aus, z. B. Kochsalz mit Jod, Fluor und jetzt Folsäure anzureichern? Oder muss man als Weg die umfassende Information und Beratung, vielleicht sogar die werbliche Ansprache in der Muttersprache wählen? Erfolg haben solche Strategien jedoch nur, wenn ausreichend Informationen über die derzeitige Ernährungssituation der Zuwanderer vorliegen. Entsprechende Studien sollten daher schnellstmöglich beginnen.
Und nicht zuletzt ist es eine äußerst interessante Fragestellung für die Ernährungswissenschaft, wie sich ein solcher Anpassungsprozess vollzieht und welche Folgen er für die Gesundheit hat (vgl. die Migrationsstudien in den USA). Verschlafen wir hier eine große Chance der epidemiologischen Forschung? Darüber sollte man nachdenken, auch oder gerade in Zeiten knapper Kassen.