Editorial 04/02: Früher, länger, intensiver
- 08.04.2002
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Sabine Fankhänel, Frankfurt
Sabine Fankhänel,
ChefredakteurinKaum ist der Frühling da, hat sie hat wieder begonnen: die "Heuschnupfen"-Saison. Mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Pollenallergie. Und jedes Jahr werden es mehr. Eindeutig erwiesen ist, so Prof. Dr. Thomas Fuchs, Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen , dass Atemwegserkrankungen wegen der Belastung der Luft mit Pollen in den letzten Jahrzehnten weltweit stark zugenommen haben. Zwischen Pollenexposition und dem Auftreten von allergischem Schnupfen gibt es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Deutlich macht dies eine Analyse der Pollenflugkalender, die seit fast drei Jahrzehnten in den meisten europäischen Ländern geführt und im Rahmen des europäischen Pollenflug-Netzwerks gesammelt werden. Mehr als 20 000 Berichte aus den Jahren 1974 bis 2001 konnte die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Siegfried Jäger, Wien, bisher auswerten.
Bei Erle, Hasel, Weide und Ulme, die normalerweise vor Ende April blühen, haben sich im untersuchten Zeitraum Beginn und Höhepunkt des Pollenflugs um durchschnittlich 20 Tage nach vorn verschoben. Ebenso werden Heuschnupfenpatienten mit einer Allergie auf Roggenpollen, die früher erst Mitte bis Ende Mai mit Niesattacken rechnen mussten, heute häufig bereits im April unangenehm davon überrascht.
Der Pollenflug beginnt nicht nur früher, sondern er dauert darüber hinaus auch länger, abhängig von der Klimazone. Dies gilt generell für den Mittelmeerraum, an den Meeresküsten und in den Alpen. In Mitteleuropa, und damit in Deutschland, wird eine Verlängerung des Pollenfluges bei Gräsern und Kräutern sowie bei Bäumen beobachtet, die zwischen März und Mai blühen (Birken, Eichen, Buchen, Eschen, Platanen, Linden).
Eine insgesamt höhere Pollenbelastung lässt sich bei Pflanzengattungen nachweisen, die zwischen Juni und September zur Blüte kommen. Dazu zählen u. a. Gräser und Getreide, Gänsefuß, Sauerampfer und Spitzwegerich. Von dieser quantitativ höheren Belastung wiederum besonders betroffen sind die Alpenregionen in Österreich, Frankreich und der Schweiz.
Selbst wenn es keinen endgültigen Beweis dafür gibt, deutet nach Ansicht von Experten vieles darauf hin, dass die globale Erderwärmung mit diesen Veränderungen in direktem Zusammenhang steht. Höhere Frühlingstemperaturen und ein früherer Frühlingsanfang, eine längere Herbstzeit sowie wärmere und kürzere Winter haben die Belastung der Pollenallergiker in den letzten Jahrzehnten erheblich verstärkt.
Parallel dazu nimmt die Prävalenz von Lebensmittelallergien zu; denn immer mehr Menschen leiden an einer so genannten Kreuzallergie. Sie reagieren nicht nur auf bestimmte Pollen(proteine), sondern darüber hinaus auf verwandte pflanzliche Lebensmittel(proteine). Eine Kreuzallergie tritt besonders häufig bei Birkenpollenallergikern auf. Ursache hierfür ist Betv1, das Hauptallergen aus Birkenpollen. So genannte birkenpollenassoziierte Lebensmittel – dazu zählen z. B. Haselnuss, Apfel, Kirsche, Sellerie und Möhre – enthalten Proteine mit ähnlichen Strukturen; diese können mit den ursprünglich gegenüber Betv1 gebildeten IgE-Antikörpern kreuzreagieren und insbesondere im Mund- und Rachenbereich zu allergischen Symptomen führen.
Etwa bei 40 % der Pollenallergiker besteht ein orales Allergie-Syndrom. Man geht davon aus, dass in Deutschland insgesamt 2 bis 5 % der Bevölkerung an eindeutig diagnostizierten Lebensmittelallergien leiden. Im (Klein-)Kindalter treten diese vermehrt auf (ca. 5 bis 10 %). Sie verlieren sich aber häufig im Laufe der Reifungsprozesse von Darm, Verdauung und Immunsystem (vgl. Beitrag "Ernährung und Immunsystem" auf S.153 ff.). Trotzdem geben bei Befragungen ungefähr 20 bis 35 Prozent der Bevölkerung an, an einer Lebensmittelallergie zu leiden. Zwar hat das Wissen über die Entstehung von (Lebensmittel-)Allergien im letzten Jahrzehnt immens zugenommen, aber die Bevölkerung und die Betroffenen selbst sind oft nicht ausreichend informiert. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Das gilt gleichfalls bei den Kreuzallergien: Längst nicht alle Menschen mit immunologisch nachgewiesenen Kreuzallergien entwickeln beim Verzehr der entsprechenden Lebensmittel akute Allergiesymptome. Doch nur wenn diese auftreten, sind strenge diätetische Maßnahmen erforderlich, die den Verzicht auf Lebensmittel mit kreuzreagierenden Allergenen bedeuten. Entscheidend ist die klinische Diagnose einer Allergie. Die Labordiagnose "Kreuzallergie" allein hat nur geringe Aussagekraft. EU04/02