Editorial 04/03: Über Kreise und Pyramiden aller Arten

Helmut Erbersdobler, Kiel

Prof. Dr. Helmut ErbersdoblerDer Ernährungskreis der DGE war ein über lange Zeit unangefochtenes Modell zur Demonstration lebensmittelbezogener Ernährungsempfehlungen. Dann kam "die Pyramide" als neues Darstellungsmodell aus den USA. Durch ihre hierarchische Struktur erschien sie für Prioritätshinweise bei der Lebensmittelauswahl besonders geeignet , Heft 2, S. 50 ff.). Auch wenn der Kreis mit seinen Segmenten bessere Möglichkeiten der quantifizierten Darstellung bietet, hat sich die Pyramide durchgesetzt. Mittlerweile gibt es dutzende verschiedener Pyramiden – vegetarische, ethnische, ich kenne allein drei mediterrane.

An den Grundfesten des bisher unerschütterten Basismodells, der Pyramide des US-Landwirtschaftsministeriums, rüttelt seit kurzem der weltbekannte Epidemiologe Walter Willett aus den USA mit seiner "neuen" Ernährungspyramide. Er erlangte damit binnen kurzer Zeit große Publizität (1). Müssen damit nun die Regeln für die "gesunde" Ernährung neu überdacht werden?

Grundsätzlich bestätigt W. Willett weite und entscheidende Bereiche der bisherigen international geltenden Empfehlungen, wie z. B. die D-A-CH-Referenzwerte: Gesättigte Fettsäuren sollten reduziert und ihre Träger (nach Willett "rotes" Fleisch und fette Milchprodukte) nur selten verzehrt werden, die Aufnahme von Ballaststoffen erhöht werden, bevorzugt sollten Gemüse, Obst und Vollkornprodukte sowie Seefische verzehrt werden. Nicht verständlich erscheint, warum Kartoffeln, Nudeln und Reis zu den weniger empfohlenen Lebensmitteln gerechnet werden. Hier wird nach meiner Meinung dem glykämischen Index (GI) der isolierten Lebensmittel zu hohe Bedeutung eingeräumt. Der von Spaghetti und Co. gilt im Übrigen als moderat und auch bei Reis ist er nicht sehr hoch.

Dagegen ist der GI der Kartoffel tatsächlich hoch, aber gerade Kartoffeln werden kaum isoliert verzehrt. In Europa gänzlich unpraktikabel erscheint die Verbannung der Milch und Milchprodukte in den Bereich der seltener zu verzehrenden Lebensmittel mit dem Hinweis, man solle zum Ausgleich für das dann fehlende Calcium und einige Vitamine Supplemente verzehren. Das mag in den USA angehen, wo die Gewohnheit, täglich Pillen zu sich zu nehmen, ungleich weiter verbreitet ist als bei uns und wo Milchprodukte keine so lange Tradition haben, aber nicht in Deutschland.

Die Empfehlung, die Begrenzung für "ungesättigte Fette" fallen zu lassen, wird jedoch am meisten kritisiert. Allerdings dürfte es ohnedies vergleichsweise schwer fallen, höhere Mengen an ungesättigten Fetten in Form von Ölen, Nüssen und entsprechenden Margarinen aufzunehmen, wenn man alle Lebensmittel mit hohen Anteilen an gesättigten Fettsäuren drastisch reduziert, wie es Willett empfiehlt.

Immerhin zeigt die Diskussion, wohin die Reise geht, nämlich in Richtung Fettreduktion (oder mindestens Fettaustausch) bei den Lebensmitteln mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, hin zu einer Renaissance des Konsums von Vollkornprodukten und zum höheren Verzehr von Gemüse und Obst sowie n-3-Fettsäuren aus Fischen und bestimmten Ölen wie Rapsöl oder Walnussöl. Das erscheint prinzipiell akzeptabel.

(1) Willett, W. C.; Stampfer, M. J.: Macht gesunde Ernährung krank? Spektrum der Wissenschaft März 2003, S. 58–67

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