Editorial 02/05: Schadet Fernsehwerbung?
- 09.02.2005
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- Redaktion
Prof.Dr.Helmut Erbersdobler
Ein Glas Rotwein pro Tag kann für Erwachsene gesund sein, mehrere Gläser sind es nicht mehr, viele sind schädlich. Ähnlich verhält es sich mit dem Fernsehen, das in Maßen konsumiert ohne Frage bildet, bewegt, unterhält und bei vielen die äußere und innere Einsamkeit vergessen lässt.
Allerdings kann es auch Schaden anrichten. Dies gilt besonders für Kinder, wenn der Bildschirm anstelle der Eltern zum Vorbild wird und zu viele Gewalt-Sendungen „konsumiert“ werden. Fernsehen steht aber ebenfalls im Hinblick auf die Werbung für ungesunde Lebensmittel in der Kritik.
Zudem werden Themen der Ernährung im Fernsehen nicht nur in der Werbung berücksichtigt, sondern vielfach „eher beiläufig als Aspekt im Bild verpackt“, wie im Ernährungsbericht 2004 im Kapitel „Darstellung und Wirkung von Ernährungsinformationen im Fernsehen“ dargelegt wird. Darin ist z. B. auf Seite 396 nachzulesen, dass die „Repräsentation der Lebensmittel in den Fernsehprogrammen in weiten Teilen nicht den Empfehlungen der DGE entspricht. Sie weicht in deutlichem Maß negativ von den Normen einer gesund erhaltenden Ernährung ab und ist kritisch zu bewerten“.
Der Beitrag von Joerg M. Diehl in diesem Heft zeigt deutlich auf, „dass Jugendliche, die mehr fernsehen (und damit auch mehr Werbung ausgesetzt sind) die beworbenen Produkte im Durchschnitt häufiger verzehren“. Diese Beziehung gilt auch für die mit den Produkten assoziierten Gruppen (Süßigkeiten, Fast Food, salzige Snacks etc.). Die Frage jedoch, ob Werbung „dick macht“, wird eindeutig verneint.
Denn die in vielen, aber nicht allen Studien gezeigte Beziehung zwischen der Höhe des Fernsehkonsums und dem Übergewicht hat viele Gründe, u. a. Inaktivität, Verzehr während des Fernsehens, Versammlung der „Trägen“ vor dem Fernseher. Die mit dem Fernsehen verbundene massive Werbung in den von Jugendlichen eindeutig bevorzugten Privatsendern soll jedenfalls nicht ursächlich beteiligt sein.
Meiner Meinung nach ist es eher unerheblich, ob eine direkte Wirkung vorliegt. Kinder werden durch die Werbung verführt, wenn auch nicht getäuscht. Sie sind sich der Tatsache bewusst, dass sie Genussmittel und nicht vollwertige Lebensmittel verzehren. Aber wie an dieser Stelle schon im Oktober letzten Jahres beschrieben, holt die Fernsehwerbung alles von uns verdrängte Verführerische wieder ins Bewusstsein zurück.
Das gilt gleichermaßen vor dem Fernseher wie im Supermarkt am Regal oder später in der Schlange an der Kasse. Die „imaginäre Präsenz des Überflusses“, unabhängig von einzelnen beworbenen Produkten bzw. Produktgruppen, ist das Problem. Für mich ist außerdem unbestritten: Die Werbung trägt wesentlich dazu bei, unseren Lebens- und Essstil zu formen. Dieser „westliche Lebensstil“ führt dazu, dass landauf, landab und weltweit immer mehr Erwachsene und Kinder übergewichtig werden.
Wenn in dem Artikel von Joerg Diehl zu lesen ist, „es kann den hauptsächlich Werbenden nicht angelastet werden, dass die Food-Werbung so wenig Spots für Gemüse, Obst oder Vollkornprodukte enthält“, dann ist dies richtig und frustrierend zugleich. Was könnte man dagegen tun? Verbote machen Kinder nicht mit Sicherheit schlanker, wie der Autor an dem Beispiel der kanadischen Provinz Quebec zu belegen versucht.
Das mag sein, aber „gesünder“ könnte die Ernährung zumindest geworden sein. Ehrlich gesagt, ich bin auch gegen Verbote oder Quoten (man könnte sich nach zweimaliger Werbung für Süßigkeiten die Pflicht für einen Hinweis auf Früchte, Gemüse oder Vollkornprodukte vorstellen). Aber wenn die Werbung in Zukunft noch aggressiver wird, dann befürchte ich Reglementierungen.
Das bereits genannte Kapitel im Ernährungsbericht 2004 deutet an, was ein „gesundes Product-Placement“ bewirken könnte. Es ist schade, dass man diese Idee bisher nicht umsetzt. Auch außerhalb der Werbung, in Kochsendungen und unterschwellig in vielen anderen Produktionen, könnte man „gesunde Botschaften“ gut verpackt platzieren. Die Problematik ist spätestens seit Erscheinen des Ernährungsberichts 2004 bekannt, nun müssen wir handeln.
Ihr
Helmut Erbersdobler