Editorial 03/04: Ernährungswissenschaft und Elite

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler

Kaum eine wissenschaftliche Disziplin wurde nach dem 2. Weltkrieg so sehr von der Entwicklung in Nordamerika beeinflusst wie die Ernährungswissenschaft. Dort gilt sie als „in between science“ – was nicht schlecht sein muss, wenn man sich den starken Anwendungsbezug des Faches vor Augen führt.

Zwar gibt es im weiteren Umfeld der Ernährung bereits zwei mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftler, aber es bleibt vorrangig unsere Aufgabe und Chance, Ergebnisse der Grundlagenforschung in Biologie, Biochemie und theoretischer Medizin aufzugreifen und innovativ für ernährungswissenschaftliche Fragestellungen zu nutzen. Selbstverständlich sollten daraus wiederum eigenständige Höchstleistungen erwachsen.

So wichtig auch eine Standortbestimmung des Faches wäre, stehen derzeit zwei andere Fragen im Mittelpunkt der Diskussion in Deutschland: Wie können wir mit der Ernährungswissenschaft in Übersee mithalten und wie zur Elitebildung an deutschen Universitäten beitragen?

Zum ersten Punkt: Neidlos müssen wir anerkennen, dass die Ernährungswissenschaft in Deutschland das wissenschaftliche Niveau der U.S.-amerikanischen noch lange nicht erreicht hat. Zwar arbeiten immer mehr in Deutschland ausgebildete Ernährungswissenschaftler mit großem Erfolg in renommierten Arbeitsgruppen in Übersee. Aber dieses Potenzial an Exzellenz geht uns verloren, wenn wir nicht zumindest einige von ihnen zurückholen. Das wiederum wird nur gelingen, wenn hier vergleichbare Arbeitsbedingungen für sie geschaffen werden.

Hinsichtlich der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sollten wir nicht mutlos sein. Begreifen wir die Reform an den Hochschulen und die Entwicklung neuer Bachelor- und Master-Studiengänge doch als Chance, um verstärkt auf Exzellenz zu setzen. Hierfür müssen allerdings die Interessierten und Begabten selektiv gefördert werden.

Insgesamt befinden wir uns also in einer Phase des Umbruchs. Das wird ebenfalls beim diesjährigen Wissenschaftlichen Kongress der DGE in Weihenstephan deutlich; denn dort stehen diesmal Fragen der „elitären“ Grundlagenforschung im Vordergrund. Lassen Sie uns abwarten, welche Resonanz die vorgestellten Ergebnisse außerhalb der überschaubaren ernährungswissenschaftlichen „scientific community“ hervorrufen werden. Vermutlich sind wir ja schon auf dem richtigen Weg. Wenn uns dies bewusst ist, dann können wir unsere Botschaften voll innerer Überzeugung auch außerhalb der eigenen Reihen verbreiten und die Bestrebungen hin zu mehr Exzellenz verstärken. Nicht zuletzt müssen wir uns über den eigenen „USP“ klar werden sowie nach innen und außen geschlossen auftreten (vgl. das Editorial in der Januar-Ausgabe). In diesem Sinne: Publizieren Sie Ihre Ergebnisse rasch und möglichst gut. Und bleiben Sie nicht bei dem Erreichten stehen, sondern stellen Sie sich immer wieder neuen Herausforderungen.

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