Alimentum ultimum - 12/02 (Das letzte Gericht)
- 09.12.2002
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- Redaktion
Johannes
Was für ein ereignisreiches Jahr! Meine Berliner Cousine Elvira verabschiedet es mit Emphase. Wir sitzen beim traditionellen Adventskaffee in der dem Beamten des Kanzleramts Erwin trotz des darüber schwebenden Pleitegeiers noch immer als Wildost-Buschzulage für den Umzug von Bonn zugewiesenen Wohnschlange am Moabiter Werder und halten Rückschau.
Da die Ernährung die gewohnt vorrangige Rolle spielt, steht am Anfang die Frage nach dem Highlight der Ernährungsforschung des Jahres 2002. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms dafür zu halten, davon bin ich weit entfernt. Als am nobelpreiswürdigsten sehe ich vielmehr Schlussfolgerungen aus einer finnischen Studie an. Diese legen dem new age of agriculture und somit auch der auf eine Wende in der Agrarproduktion eingeschworenen deutschen Ministerin nahe, Kühe künftig nur noch im Dunkeln melken zu lassen.
Lediglich so gestrippte Milch sei nämlich ausreichend mit Melatonin ausgestattet und könne schlaflosen Menschen die geruhsame Nacht verschaffen, die ARD-Wickert mit sanftem Augenaufschlag bis dahin wach Gebliebenen zu wünschen pflegt. Milch mache wache Männer müde und nicht umgekehrt, heiße es jetzt. Werbetexter, die damals so unverschämt gelogen hätten, sollten dafür eingelocht und zu Rückzahlungen ungerechtfertigter Subventionen für die Milcherzeugung und Ausgleichszahlungen an die Pharmaindustrie verdonnert werden!
Als den ernährungswissenschaftlichen Satz des Jahres würde ich allerdings die auf der Herbsttagung der DGE getroffene und im Novemberheft der Ernährungs-Umschau nachzulesende Aussage küren: "Wichtiger zu berücksichtigender Faktor ist, dass Functional Food auch in Zukunft nur die Ergänzung einer vollwertigen Ernährung sein kann und nicht ihr Ersatz".
Da hätten sich doch die Balken biegen und auch Nichtgermanisten fragen müssen, ob eine vollwertige Ernährung denn noch steigerungsfähig sei. Also: vollwertig, vollwertiger, am vollwertigsten, oder voll, voller, am vollsten wertig. Wenn ja, sei das "Wodurch"? geschenkt.
Ungeachtet dessen möchte ich allen Lesern für das neue Jahr eine der Moralepisteln von Seneca mit auf den Weg geben: "Propre est a timente, qui fatum segnis expectat, sicut ille utra modum deditus vino est, qui amphorum exsiccat et faecem quoque exsorbet". (Einem Furchtsamen gleicht nahezu, wer sein Schicksal untätig erwartet, so wie jener dem Wein über das Maß hinaus zugetan ist, der den Krug bis zur Neige leert und auch noch den Bodensatz ausschlürft.) EU12/02