Alimentum ultimum 12/01 (Das letzte Gericht)

Johannes

"In frigo veritas", sagt Erwin. Nach Einnahme unseres traditionellen Adventkaffees holt der Mann meiner Berliner Cousine Elvira eine Flasche Dom. Perignon, Cuvee, Jahrgang 1989, aus dem Kühlschrank. Erwins Zitat sei eigentlich kein Toast, weiß ich wieder einmal besser. Vielmehr handele es ich um den Titel einer bei Schweizer Senioren durchgeführten "Kühlschrankstudie". Doch auch aus anderer Sicht sei der Kühlschrank ein Spiegelbild der Küche, aus mykologischer vor allem und nicht nur aus der von Gefräßigen, Säufern oder Schmalhälsen.

Elvira hingegen ist nach der Lektüre eines genussfreudigen Ratgebers nicht auf den Kühlschrank sondern auf den Weinkeller aus und kommt mir emanzipatorisch. Heute wisse fast jeder, gibt sie eine Presseinformation wieder, dass ein Hummerschwanz seine geschmackliche Wirkung erst dann voll entfalte, wenn ihm ein großer Chadonnay zur Seite stehe, beispielsweise ein Puligny-Montrachet. Warum machten sich Männer jedoch kaum Gedanken darüber, welcher Wein wann am besten zu ihrer oder überhaupt zu einer Frau passe, einer sanften Kunststudentin aus dem Badischen etwa oder einer Table-Dancerin aus Ghana?

Früher habe Erwin wenigstens noch geträllert, dass ein Mann Glück bei den Frauen hätte, wenn er Klavier spielen könne, und ihr ordentlich was in die Tasten gehauen. Inzwischen spiele er allenfalls Blockflöte und setze ihr gedankenlos Wein vor, den er einer brünetten sächsischen Frisörin wohl ebenso eingießen würde wie einer blonden hanseatischen Managerin. Und ich fossiler Ernährungsfuzzi wisse sicher ebenso wenig, mit welchen Kreszenzen man bei der vinologischen und rituellen Rendezvousgestaltung einer Frau imponieren könne, sagen wir Verona Feldbusch oder Alice Schwarzer. In ihrem Nährstoffwahn habe die Ernährungswissenschaft leider schon immer kulinarisch-lebensphilosophische Lücken aufgewiesen und diese großzügig populistischen Schreiberlingen überlassen. Daran habe nicht einmal die wachsende Zahl von Oecotrophologinnen etwas geändert.

Unter lauter Nutritionisten und Nutrigenomikern werde man eben nicht einmal von Frau zu Frau verstanden, wenn es um mehr als Essen und Trinken gehe. Dafür habe sie kürzlich erfahren, dass Absinth, dieses Gesöff aus Wermut, Anis und Fenchel, wegen seines Gehalts an Thujon zwar an die Nieren und auf die Nerven gehen könne, einen aber reichlich mit anderen sekundären Pflanzenstoffen versorge. Als besonders tröstlich empfunden habe sie die diesjährige Erfindung der "elektrischen Diät", eines ins Oberbauchfett eingebauten Magenschrittmachers, der durch Stromstöße auf die Außenwand des Magens den Appetit zügele und beim Abnehmen helfe.

Bei so viel Frust übermannt es mich fast, das neue Jahr im Blick und Seneca im Kopf, auszurufen: "Edendi mihi erit bibendique finis desideria naturae restinguere, non implere alvum et eximanire !" Nur, was ist mein, ihr, unser natürliches Bedürfnis ? EU12/01

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