Nachschlag: Stimmt so!
- 11.03.2020
- Print-Artikel
- Helmut Heseker
Schnell wurde schon Tage vorher per TafelFreunde-WhatsApp Einigkeit über Restaurant und Uhrzeit erzielt. Kaum Platz genommen, werden von der aufmerksamen, beschürzten Servicekraft nicht nur die Speisekarten verteilt, sondern auch noch eine handgeschriebene überdimensionale Tafel mit den besonderen Empfehlungen aus der Küche präsentiert. Gern folgen wir der Aperitifempfehlung und widmen uns der Lektüre der auf feinem Büttenpapier angebotenen, erlesenen Produkte aus der Küche.
Nachfragen einzelner Mitessender werden von der duzenden Servicekraft fachkundig und unaufdringlich beantwortet und auch die Weinberatung lässt auf umfangreiche, sommeliersche Kenntnisse schließen. Schnell werden Vorspeisen, Hauptgerichte sowie Nachspeisen nach individueller Neigung zusammengestellt und vom Kellner mit wohlwollendem Nicken als gute Wahl bestätigt. Trotz unterschiedlicher Speisenwahl gelingt es der Bedienung die Esser bei der Wahl des Weins schnell zu einen, der kurz danach perfekt gekühlt im Weinkühler darauf wartet, serviert zu werden. Die nach und nach kredenzten Speisen verdienen ein höchstes Lob an die Küche. Zum perfekten Abschluss noch ein Espresso Macchiato und die üppige Rechnung kann kommen.
Kurz danach fliegen anteilsmäßig die Euroscheine auf den Tisch und in den Köpfen nagt die Frage, wieviel Trinkgeld denn wohl angemessen ist. Schließlich war alles perfekt: Bedienung, Essen, Getränke. Unbehagen macht sich breit, denn man will ja jetzt weder als geizig noch als peinlich gönnerhaft dastehen. Schließlich gibt es beim Trinkgeld – trotz über 600-jähriger Geschichte – bis heute keine feste Regel, ob überhaupt und wieviel wird jedes Mal neu entschieden. Der eine möchte großzügig auf die nächsten Hundert aufrunden. Aber reicht nicht doch ein 5 %-Aufschlag oder gar ein Aufgeld von 20 €?
Bekommen die Urheber des kulinarischen Wohlbefindens in der Küche und im Service überhaupt etwas von dem zusätzlichen Geldsegen ab? Und sind nicht bei uns die Kosten für Service per Gesetz in die Preise der Gastronomie eingeschlossen? Denn hierzulande sind ja Arbeitsverträge à la US-Art verboten, die explizit Trinkgeld als (üppige) Entlohnung vorsehen. Natürlich ist hier wie dort Trinkgeldgeben zur sozialen Norm geworden. Allerdings wurde schon längst als Mythos entlarvt, dass aus egoistischen Motiven gegebenes und an Bestechung grenzendes Trinkgeld die Servicequalität tatsächlich verbessert. Heute kann sich das Personal fast immer auf diese Art der Gehaltsaufbesserung verlassen, egal wie gut oder schlecht der Service war.
Damit die gehobene Stimmung beim Herausgehen nicht kippt, sollten wir das Trinkgeld vielleicht einfach als das sehen, was es ist: Ein Zeichen guten Willens der Kundschaft.
Helmut Heseker
Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 3/2020 auf Seite M184.
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