Editorial 04/05: Über Energiedichte, Pyramiden und die wahre Lehre
- 11.04.2005
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Prof.Dr.Helmut ErbersdoblerEtwas zu erreichen, möglichst ohne großen Aufwand, davon träumen wir alle. Dies gilt für Reichtum, Einfluss, Stärke und auch für die „gute Figur“. Aber eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Dicker ohne relatives Energiesparen schlanker wird. Fast explosionsartig vermehrten sich in den letzten Jahren die Rezepte zur einfachen Bekämpfung des Übergewichts und die Methoden, diese zu vermitteln. So wurden zum Beispiel Low-Fat- oder Low Carb-Programme je nach Herkunft durch Kreise, Pyramiden, Pagoden oder Amphoren visualisiert.
Nun haben wir – nein, (noch) nicht die Quadratur, aber immerhin schon die Vierfaltigkeit des Kreises. Endlich gibt es eine echte Pyramide, die sich von allen Seiten, sogar von unten, betrachten lässt und nicht nur ein Dreieck mit Schubladen. Sie ist für Mittlerkräfte konzipiert. Für die Ernährungsberatung soll eine einfachere folgen. Pyramiden basteln oder am PC darstellen – das ist jetzt die Devise. Ich freue mich schon auf das entsprechende Hologramm!
Alle diese Empfehlungen vermitteln der Bevölkerung die Abkehr von zu viel „verfeinerter Kost“ und die Rückkehr zu einer Basisnahrung. Wer z. B. Lebensmittel mit hoher glykämischer Last vermeidet, verzichtet weitgehend auf hoch verarbeitete und häufig energiereiche Produkte. Zuckerstoffe und Stärke sind ein Energiespeicher per se und in verarbeiteten Lebensmitteln oft Träger hoher Fettanteile. Low Carb ist somit auch eine Rückkehr zu mehr oder weniger naturbelassenen Lebensmitteln, ohne dass dies explizit ausgesprochen wird.
Nur die bei früheren Empfehlungen so wichtige Ökologie bleibt heute auf der Strecke. Kann man die Welt ohne Getreide ernähren? Nun ja, so wird man sagen, für die armen Hungernden bleiben Reis, Kartoffeln, Weizen und Mais weiterhin wichtig und erlaubt. Bis auch sie die Kohlenhydratspender aufkonzentrieren, zu viel Fett zumischen und übergewichtig werden, was man in den sog. Schwellenländern bereits beobachten kann. Die Frage der proteinreichen Lebensmittel wird unzureichend thematisiert. Proteine erscheinen günstig, da sättigungswirksam; also wird mageres Fleisch großzügig erlaubt.
Aber wer mageres Fleisch produziert, der erzeugt auch viele weniger wertvolle Teilstücke und insgesamt reichlich tierische Fette, die verwertet werden müssen. Man kann nicht das wertvolle Steak empfehlen und die Teile, aus denen Wurst und Co. gemacht werden, aus der Ernährung verbannen. Wohin damit? Also muss sie doch einer essen. Dies bedenkend, sollte man die Kirche im Dorf lassen und bei den Proteinempfehlungen nicht übertreiben. Denn nicht alles, was aus ernährungswissenschaftlicher Sicht wünschenswert ist, lässt sich unter den Aspekten der Lebensmittelproduktion und Ökologie auch umsetzen.
Natürlich sind nicht alle Produktinnovationen im Lebensmittelbereich a priori schlecht, aber die Luxusspirale von Angebot und Nachfrage dreht sich leider immer schneller. Keiner wagt es, diese wirklich und nachhaltig anzuhalten, zu sehr ist sie mit unserer Zivilisation verwoben. So werden weiterhin die unterschiedlichsten, teilweise heftig umstrittenen Maßnahmen ergriffen, die aber das Kernproblem der Überernährung langfristig nicht lösen.
Und was macht die Wissenschaft? Sie ist noch nicht weit genug, um überzeugende, evidenzbasierte Erkenntnisse vorzulegen. Auch mein Vorschlag, mit Hilfe der Energiedichte gemeinsam auf Fettgehalt und verwertbare Kohlenhydrate zu achten, ist zunächst ein vordergründiges Szenario, das noch mit Inhalt ausstaffiert werden muss.
Trotzdem wäre schon viel gewonnen, wenn alle verstehen würden, dass eine hohe relative Energieaufnahme nicht immer mit „viel essen“ gleichzusetzen ist, sondern auch verfeinertes und energiereiches Essen und zu wenig Bewegung bedeuten kann. Und wie bringen wir das rüber? – Ein einfaches, verständliches, trotzdem aber wissenschaftlich abgesichertes Konzept wird gesucht und eine einfache Darstellung, abgeleitet aus der neuen dreidimensionalen Pyramide.
Helmut Erbersdobler