Editorial 04/14: Hohepriester
- 11.04.2014
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Prof. Dr. Helmut Erbersdobler,
Herausgeber
Ich gestehe, dass ich gerne TV-Kochsendungen sehe und daraus schon viele Anregungen erhalten habe. Was mich aber in manchen Fällen stört, ist, dass die „neuen Götter in Weiß“ Lehren und Weisheiten über gesunde Ernährung verbreiten, die nicht gerechtfertigt, ja sogar falsch sind. Dies gilt besonders im Zusammenhang mit dem Einsatz von Gewürzen . Starke Worte wie „Oxidativer Stress“, Verhinderung oder Verringerung von „freien (schädlichen) Radikalen“ etc. fliegen dann hin und her.
Diese Angstthemen hat die Wissenschaft schon längst wieder überwunden oder zumindest relativiert (s. die Beiträge zu diesem Thema in der EU 09/2013 ab S. 162). Inhaltsstoffe, die einmal in der Zellkultur gewisse Wirkungen zeigten, werden hochgejubelt – unabhängig davon, ob sie für den wesentlich komplexeren menschlichen Organismus bioverfügbar sind, d. h. in aktiver Form in den Stoffwechsel gelangen oder dort lange genug verbleiben und nicht gleich eliminiert oder neutralisiert werden.
Neben den Kochsendungen gilt dies z. T. auch für beurteilende und vergleichende Sendungen über Lebensmittel, die ebenfalls zumeist von Köchen moderiert werden. Hier werden aber wenigstens fast immer Lebensmittelchemiker oder Ernährungswissenschaftler einbezogen. Allerdings argumentieren die „Experten“ oft mit Daten aus Zellkultur- oder Tierversuchen bzw. einzelnen Studien am Menschen und nicht mit Evidenz-basierten (auf mehreren qualitätsgeprüften Studien beruhenden) Untersuchungen.
Warum inszenieren und arrangieren die Medien diesen Stil der Sendungen? Weil sie die spritzige Schärfe einer Konfrontation (Klamauk?) für die Erhaltung der Einschaltquoten brauchen (?) und weil die Öffentlichkeit nach spektakulären Heilsversprechen giert. So ist die Ernährung heute fast schon zum Religionsersatz geworden, und die Medien-Propheten sind quasi ihre Hohepriester. In Abweichung des bekannten Spruches „Schuster bleib bei deinem Leisten“ könnte man formulieren: „Köche bleibt bei euren Löffeln“.
Eigentlich könnten Köche und Ernährungswissenschaftler wunderbar zusammenarbeiten, da Ernährungswissenschaftler ja nicht zwingend gut kochen können und Köche hervorragend umsetzen können, was die Ernährungswissenschaftler empfehlen. Es muss ja nicht immer ein prominenter Schauspieler und Hobbykoch sein, der dem Koch als Adlatus in Ernährungsfragen beisteht.
Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 04/14 auf Seite M177.
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