Editorial 05/04: Zuviel des Guten? - die Zweite!
- 11.05.2004
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Helmut Erbersdobler, Kiel
Prof.Dr.Helmut Erbersdobler
Seit Jahrzehnten bemüht sich die Ernährungswissenschaft, die Eisenversorgung insbesondere bei Frauen zu verbessern. Dies gilt vor allem für die 3. Welt, wo der Eisenmangel auf Grund unzureichender Versorgung und entsprechender Erkrankungen besonders gravierend ist. Kampagnen zur Eisensupplementierung und Anreicherungsprogramme wurden mit wechselndem Erfolg durchgeführt. Der Mentor der Eisenforschung, Leif Hallberg, bekam in Anerkennung seines Lebenswerks 1999 den weltweit höchst dotierten Wissenschaftspreis für Ernährung, den Danone Prize for Nutrition. Schon seit längerem gibt es kritische Stimmen zur Eisensupplementierung im Kindesalter. Es war nämlich bald nach dem Start erster Programme in Entwicklungsländern klar geworden, dass die Anfälligkeit der Kinder für viele Infektionskrankheiten – nicht nur solche im Magen-Darm-Trakt, sondern auch für Tuberkulose und Malaria – mit der besseren Eisenversorgung stark anstieg. In der westlichen Welt mit ihrem hohen Hygienestandard erscheint dies jedoch eher vernachlässigbar. Als erster hat Jukka T. Salonen 1992 darauf hingewiesen, dass in Ostfinnland Männer mit hohen Eisenspeichern ein doppelt so hohes Myokardinfarkt-Risiko haben. Da Eisen als starkes Oxidationsmittel verschiedenste Gewebe schädigen kann, erschien dies plausibel. Die epidemiologischen Befunde wurden allerdings angezweifelt, da man bei Personen mit genetisch bedingt hohen Eisenspeichern keine vergleichbaren Fälle fand. Mehrere neuere Studien unterstützen jedoch die Theorie von Salonen, obwohl der endgültige Nachweis noch aussteht. Die Arbeit von Gisela Jacobasch und Morana Bauer-Marinovic, deren erster Teil in dieser Ausgabe erscheint (S. 172ff.), zeigt nun, dass das Problem nicht nur aktuell von außen kommen muss, sondern auch durch eine Umstellung der Lebensgewohnheiten auftreten kann. Natürlich hat sich auch der „cleane“, d. h. nicht mit EPO gedopte, Hochleistungssportler seine hohen Eisenreserven „angefuttert“. Wer hätte aber gedacht, dass diese nach Ende der aktiven Sportlerkarriere durch Abbau der Muskulatur wieder frei und „wild“ werden. Ähnliches wurde übrigens bei ursprünglich in hohen Gebirgsregionen lebenden Bevölkerungsgruppen beobachtet, nachdem sie in die Tiefebene gezogen waren. Und weiter: Welche Auswirkungen haben unter diesen Gesichtspunkten die hohen Gewichtsabnahmen bei Diäten, die ja immer auch mit einem Abbau der Muskelmasse einhergehen? Wie sieht es aus bei sehr hohem Fleischverzehr, der derzeit durch die Renaissance der Atkins-Diät und ihrer Epigonen wieder stark propagiert wird? (Vieles ließe sich hier noch anführen, sicher aber nicht die Ernährungsweise unserer Vorfahren in der Steinzeit. Denn sie wurden nicht alt genug, um einen durch langfristigen oxidativen Stress verursachten Herzinfarkt zu erleiden. Sie hatten auch häufig Verletzungen mit Blutverlusten und mussten ihr Leben lang körperlich extrem aktiv sein.) Ist es einer der Vorteile der Salicylatprophylaxe bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dass Aspirin und Co. durch okkulte Eisenverluste einen langfristigen Mini-Aderlass bewirken? So fügen sich die hier dargestellten biochemischen und molekulargenetischen Sachverhalte gut zu den o. a. epidemiologischen Befunden und stützen sie. Was bisher noch fehlt, sind Interventionsstudien. Aber lassen sich solche Studien angesichts der langfristigen Entstehung der Schäden überhaupt durchführen und können wir sie in Kenntnis der vorhandenen Daten noch verantworten? Es empfiehlt sich jedenfalls, in Zukunft nicht nur die unteren Bereiche der Eisenspeicherwerte zu beurteilen, sondern auch die oberen Grenzwerte zu beachten und dann dementsprechend zu essen. Dies trifft besonders für die Männer zu, aber auch für Frauen nach der Menopause, die ja dann steigende Eisenspeicher und eine erhöhte Inzidenz für eine Atherosklerose aufweisen.