Nachschlag: Unser täglich Brot

Unser Grundnahrungsmittel Brot blickt bekanntlich auf eine stolze, bis in die mittlere Altsteinzeit zurückreichende Backtradition und nicht nur im Christentum auf eine große kulturgeschichtliche, symbolische und spirituelle Bedeutung zurück.

Traditionell wird gemahlenes Getreide lediglich mit Wasser und etwas Salz sowie einem Triebmittel (Backhefe oder Sauerteig) vermischt, geknetet, geformt und nach einer längeren hochaktiven Teigruhe gebacken. In dieser wichtigen Phase findet die Quellung mit Wasseraufnahme, die willkommene Gasbildung mit Lockerung, ein Phytatabbau mit Steigerung der Bioverfügbarkeit von z. B. Zink, Magnesium, Kalzium und Eisen sowie ein teilweiser Abbau der im Mehl enthaltenen, für manche Menschen aber unverträglichen FODMAPs – u. a. Fruktane, Fruktose und Raffinose – statt.

Jahrzehntelange lebensmittelchemische und -technologische Forschung hat nicht nur die oben skizzierten Prozesse im Detail aufgeklärt und die zahlreichen durch die Maillard-Reaktion entstandenen Aromastoffe identifiziert, sondern auch zeitsparende und kostengünstige Alternativen zum handwerklichen Brotbacken entwickelt. Heute wird dem Mehl oft bereits in der Getreidemühle Ascorbinsäure zugesetzt, welches die vor der Verarbeitung notwendige Mehllagerung/-reifung verkürzt und später das Brot- oder Brötchenvolumen steigert. Zahlreiche weitere Lebensmittelzusatzstoffe, z. B. Mono- und Diglyzeride von Speisefetten (MDGs) verbessern die Wasserbindungsfähigkeit, Diazetylweinsäureglyzeride führen durch verbesserte Gärtoleranz und Gashaltvermögen und Milchsäurester der MDG durch eine stärkere Porenbildung zu einem größeren Volumen und einer besonders lockeren Brotkrume. Statt herkömmlichen Treibmitteln können Teigsäuerungsmittel verwendet werden. Der Zusatz von vorgequollenen, modifizierten Stärken dient ebenfalls der Verbesserung des Gashaltevermögens und v. a. dem Zeitgewinn – denn bei der industriellen Brotproduktion heißt es „time is money“. Bestreut mit u. a. Kümmel, Mohnsamen, Sonnenblumen- oder Kürbiskernen, Röstzwiebeln, Käse und v. a. m. lässt sich ganz schnell eine große (vermeintliche) Brotvielfalt produzieren.
Da industriell (vor-)gefertigte Produkte auch ohne längere Teigruhe offenbar den Geschmack von Verbraucher*innen treffen und noch dazu deutlich kostengünstiger als handwerklich hergestellte Brotwaren sind, verdrängen erstgenannte leider mehr und mehr das klassische Bäckerhandwerk. Brotesser*innen, die keinen Kollateralschaden der Verdauung durch die oft erhöhten FODMAP-Gehalte und keine Verschlechterung der Mineralstoffverwertbarkeit hinnehmen wollen, tun gut daran, sich nach einem noch traditionell arbeitenden Bäckermeister umzusehen oder aber auf das Selbstbrotbacken einzulassen.

Ihr Helmut Heseker



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2023 auf Seite M656.

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