Nachschlag: Das Kinderspeisekartendilemma

Neben Kantinen und Mensen zählen auch Restaurants zum Außer-Haus-Verzehr. Während die ernährungsphysiologische Qualität der erstgenannten Verpflegungskategorien seit Jahren Gegenstand einer oftmals berechtigten Kritik und je nach Lebenswelt unterschiedlichen Verbesserungsbemühungen unterliegen, ist die Speisequalität unserer Restaurants besonders für die kleinen Tischgäste – mit Ausnahme der Fast-Food-Systemgastronomie – bisher kaum thematisiert worden.

Eine gerade von meinem letzten Master-Studierenden durchgeführte bundesweite Studie bestätigt die Ergebnisse einer Heidelberger Studie zur Qualität von Kindergerichten in deutschen Restaurants.1 Die analysierten Speisekarten sind erstaunlich homogen und beschränken sich weitgehend auf 8–10 Standardgerichte: frittierte Kartoffeln in jeglicher Form – mit Ketchup oder Mayo – scheinen ein absolutes Muss, gefolgt von paniertem Schnitzelchen von Schwein, Huhn oder Pute, Kinderburgern, Fischstäbchen oder Chicken Nuggets, Würstchen, Pizza Margherita und Spaghetti mit Tomatensauce sowie Milchreis – alles Gerichte mit hoher Energiedichte bei geringer Nährstoffdichte, oft fett- und womöglich kochsalzreich, was von der Mehrheit der Eltern nicht als gesundheitsförderlich angesehen werden dürfte. Sie fragen sich sicherlich auch: Warum gibt es für Kinder eigentlich so gut wie nix Gesundes? Warum sind Gemüse, Salat, Obst und Vollkornprodukte fast immer Fehlanzeige? Warum gibt es nicht lautstarke Beschwerden seitens der Elternschaft?

Und da liegt das Dilemma, scheint es sich doch für Eltern und RestaurantinhaberInnen um eine Win-Win-Situation zu handeln. Natürlich wünschen sich die Eltern einen stressfreien, genussvollen und entspannten Restaurantbesuch, besonders auch wenn FreundInnen dabei sind. Wer möchte schon die mahnenden Blicke anderer RestaurantbesucherInnen auf sich ziehen und das Gute-Eltern- Image riskieren, weil sich die Kinder von ihrer besten Seite zeigen und tränenreich das bestellte vollwertige Gericht ablehnen? Schnell ist es mit dem eigenen Appetit vorbei und der Gast verlässt unzufrieden und vorzeitig ohne weitere Getränke und Espresso die Lokalität.

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga weist zwar nach entsprechender Kritik reflexartig den Eltern und nicht den Restaurants die Verantwortung für eine ausgewogene Ernährung zu, hat aber immerhin die Überarbeitung seiner Empfehlungen für kinderfreundliche Restaurants angekündigt und inzwischen zusammen mit dem BMEL im Rahmen eines Wettbewerbs die besten Kinderspeisekarten ausgezeichnet. Bleibt zu hoffen, dass sich die leider freiwillige Kreativität nicht nur auf eine kindgerechte Speisekartengestaltung und fantasievollere Bezeichnungen der Kindergerichte auswirkt, sondern die Inhalte der Kochtöpfe tatsächlich gesünder, schmackhafter und nachhaltiger werden.

Ihr Helmut Heseker

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1 http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/30349/1/Lisa%20Marie%20R%C3%BCsing%20Dissertation.pdf



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 1/2022 auf Seite M56.

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