Justus von Liebig und die Ernährungswissenschaft , Teil II

Klaus Dieter Schwenke, Teltow 

Wissenschaftsgeschichtliche Betrachtungen zu seiner Tierchemie, Teil 2

Ein Grundgedanke in Liebigs "Thierchemie" war der oxidative Abbau des körpereigenen Eiweißes zu Harnstoff und daraus abgeleitet die These vom Harnstickstoff als Maß des Stoffwechsels. Die von Liebig benutzte Formelsprache für die angenommenen Umsetzungen im Organismus war trotz ihres spekulativen Charakters für die Wissenschaft von heuristischem Wert. Liebigs Verständnis der Lebensprozesse schloss die Existenz einer, an "erforschbare Gesetze" gebundenen Lebenskraft, bedingt durch die besondere Organisation der Bausteine der komplexen Stoffe, ein. Die kritische Auseinandersetzung mit der "Thier-Chemie", bei der falsche Elemente widerlegt, ihre richtigen aber bestätigt wurden, hat die Entwicklung der Ernährungswissenschaft entscheidend beeinflusst.

Nach Liebigs Verständnis des Stoffwechsels werden die "plastischen Nahrungsmittel" (d. h. die Eiweißstoffe), nachdem sie in die "organischen Bestandtheile des Blutes und dann der Gewebe" umgewandelt wurden, durch eine Kette von Oxidationen zu Harnstoff abgebaut. Der Stickstoffgehalt des Harns war ihm dementsprechend ein Maß für den Stoffwechsel.

Liebig versprach sich von den Veränderungen von im Organismus erzeugten Stoffen wie Harnsäure und Harnstoff nach chemischen Umsetzungen einen Einblick in die tatsächlichen stofflichen Veränderungen in vivo und glaubte sich der Erkenntnis von Stoffwechselprozessen mit einer chemischen Formelsprache nähern zu können. Trotz ihres spekulativen Charakters war letztere für die Forschung von heuristischem Wert, machte sie doch bestimmte physiologische Prozesse anschaulich. Verständnis der Lebensprozesse schloss die Existenz einer, an "erforschbare Gesetze gebundenen" Lebenskraft, bedingt durch die besondere Organisation der "Atome" (gemeint sind die Moleküle) der komplexen (makromolekularen) Stoffe, ein.

In der Auseinandersetzung um Liebigs Tierchemie sind viele seiner spekulativen Gedanken, darunter seine Ansicht von der Erzeugung von Kraft (Muskelarbeit) durch den Abbau von Eiweiß oder seine Vorstellung von der einfachen Übertragbarkeit chemischer Modelle auf komplexe Stoffwechselprozesse, verworfen worden. Einige Grundgedanken der Liebigschen Tierchemie sind jedoch bleibender Bestandteil der physiologischen und klinischen Chemie geworden. Sie waren essentiell für die Entwicklung der Ernährungslehre zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin. EU03/03

Den vollständigen Artikel finden Sie in Ernährungs-Umschau 03/03 ab Seite 102.

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