Evidenzbasierte Ernährungsempfehlungen – immer besser belegt, aber auch immer vorsichtiger?

Der evidenzbasierte Ansatz bietet derzeit im Bereich der Wissenschaft das präziseste Werkzeug, um die Aussagekraft von Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu beurteilen. Die Evidenzbasierung schafft einen internationalen Konsens, wie Studienergebnisse, Fallberichte und postulierte Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen und Endpunkten (z. B. Schlaganfall, Herzinfarkt oder eine bestimmete Tumorerkrankung) zu bewerten sind.

Im Bereich der Medizin werden therapeutische Empfehlungen seit knapp 20 Jahren zunehmend evidenzbasiert formuliert [1] und auch in der Ernährungsforschung werden vermehrt Aussagen zum Einfluss von Ernährungsweisen und Lebensmitteln auf einzelne gesundheitliche Parameter in evidenzbasierten Härtegraden ausgedrückt. So gründen sich z. B. die Stellungnahmen der DGE zur Rolle von Gemüse und Obst in der Prävention ausgewählter chronischer Krankheiten [2, 3] oder zum Konzept des glykämischen Index bzw. der glykämischen Last [4] ebenso wie die Leitlinien der DGE zum Fettkonsum [5] bzw. zur Kohlenhydratzufuhr [6] nicht zuletzt auf Evidenzgrade.

Der Preis für den evidenzbasierten Ansatz ist zum einen ein hoher methodischer Aufwand bei der Konzeption und Sichtung der Studien. Ein weiterer Preis könnte jedoch sein, dass speziell in der Ernährungsforschung viele ehemals plakativer oder euphorischer formulierte Zusammenhänge, z. B. „an apple a day keeps the doctor away“ bzw. „hoher Gemüseund Obstkonsum kann vor Krebs schützen“, durch vorsichtigere Aussagen ersetzt werden, wie „mit wahrscheinlicher Evidenz vermindertes Risiko für das Auftreten von [x] mit steigendem Konsum von Lebensmitteln der Gruppe [y]“.

Prof. Dr. Heiner BOEING ist Leiter der Abteilung Epidemiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam, die die Beziehungen zwischen Ernährung und Krebs sowie anderen chronischen Erkrankungen mit epidemiologischen Methoden untersucht. Zusammen mit Prof. Dr. Bernd WATZL vom Max Rubner-Institut in Karlsruhe ist Prof. BOEING Betreuer des Kapitels Prävention und Ernährung im aktuellen Ernährungsbericht 2012 der DGE. Im Gespräch mit der Ernährungs Umschau (s. u.) geht er auf Chancen und Limitationen der evidenzbasierten Betrachtungsweise ein.

Literatur

  • 1. Sackett DL, Rosenberg WMC, Gray JAM et al. (1996) Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. BMJ 312: 71
  • 2. Boeing H, Bechthold A, Bub A et al. (2012) Gemüse und Obst in der Prävention ausgewählter chronischer Krankheiten. URL: www.dge.de/pdf/ws/DGE-Stellungnahme-Gemuese-Obst-2012.pdf Zugriff 17.02.13
  • 3. Bechthold A (2012) Gemüse und Obst in der Prävention ausgewählter chronischer Krankheiten. Hintergründe, Ergebnisse und Praxistipps zur aktuellen DGE-Stellungnahme. Ernährungs Umschau 59 (8): 464–469
  • 4. Strohm D (2013) Glykämischer Index und glykämische Last – ein für die Ernährungspraxis des Gesunden relevantes Konzept? Wissenschaftliche Stellungnahme der DGE. Ernährungs Umschau 60 (1): M26–M38
  • 5. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hg). Fettkonsum und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten – Evidenzbasierte Leitlinie. Bonn (2006). URL: www.dge.de/leitlinie Zugriff 17.02.13
  • 6. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hg). Kohlenhydratzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten – Evidenzbasierte Leitlinie. Bonn (2011). URL: www.dge.de/leitlinie Zugriff 17.02.13

Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 03/13 von Seite M126 bis M127.

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