Editorial 03/15: Farbenspiele

Meine Tante Paula hatte ein großes Erdbeerbeet und konnte wunderbare Erdbeermarmelade kochen, die sie in Mengen hortete und hin und wieder an Freunde und Verwandtschaft verschenkte. Der Fruchtaufstrich schmeckte auch nach mehr als einem Jahr noch herrlich, sah aber dann schon blass und gräulich aus. Wir Kinder wollten die Marmelade deshalb nicht essen und bevorzugten gekaufte Produkte. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Farbe für die Beurteilung und Wahl von Lebensmitteln ist, wie auch der Beitrag auf S. M163 zeigt.

Ein anderes Beispiel: Wir testeten einmal ein Sportlergetränk sensorisch mit zwölf Probanden. Unter einer die Farbe verfälschenden Lampe beurteilten zehn der Tester das Produkt als fruchtig und zwei glaubten, Orangengeschmack ausgemacht zu haben. In Wirklichkeit – bei Tageslicht leicht zu identifizieren – handelte es sich um ein Produkt mit einem hohen Anteil an gefriergetrockneten Erdbeeren.

Man sieht aus den Beispielen: Farben machen Lebensmittel attraktiv und helfen bei der geschmacklichen Zuordnung. Dies wurde noch bis Ende des vorigen Jahrhunderts von der Wirtschaft als Grund für die Notwendigkeit angeführt, farbkräftige und stabile synthetische Farbstoffe einzusetzen. Aber nach und nach – weil es die Verbraucher schätzten und wollten – wurden die synthetischen Farben weitgehend durch färbende Lebensmittel oder isolierte natürliche Farbstoffe ersetzt. Und siehe da, es ging, auch wenn alles etwas blasser daherkam. Synthetische Farben sind fast nur noch in speziellen Lebensmitteln wie manchen Likören oder einigen Süßwaren im Einsatz.

Eine Sonderstellung nehmen braune Farbtöne ein, die handwerklich über karamellisierten Zucker bzw. gebräuntes Mehl (Stärke) oder industriell aus „Backmalz“ oder Zuckercouleur (durch Erhitzen von Zucker mit Ammoniak und/oder Sulfit erzeugt) erreicht werden. Vom Brot (auch Bio) über Süßwaren und Cola-Getränke bis zu Spirituosen wird mit solchen braunen Farbstoffen gearbeitet. Balsamico-Essig, Cognac, Whisky u. a., die ihren Farbton nur über eine jahrelange Lagerung in Holzfässern erreichen würden, werden heute mit E 150a–d (Zuckercouleur) gefärbt. Damit werden Eigenschaften vorgespiegelt, z. B. bei dunklem Vollkornbrot, welche die Verbraucher einen besonders authentischen kräftigen rustikalen Geschmack erwarten lassen. Oder es werden Reifungsprozesse vorgetäuscht, die in unserer schnelllebigen Zeit kaum zu realisieren sind. Nicht, dass ich gegen Zuckercouleur wäre, der Verzehr der problematischen Vertreter der Gruppe ist heute streng reguliert. Aber, wie das Beispiel mit den synthetischen Farben zeigt, die Verbraucher würden sich auch an eine blassere Färbung gewöhnen. Man sollte es wagen, auch hier ist weniger mehr.

Helmut Erbersdobler


Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 03/15 auf Seite M129.

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