Zu guter Letzt 04/11: Geschmackssache
- 12.04.2011
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- Redaktion
Ich bin bei Gott kein Freund einer exzessiven Aromatisierung unserer Nahrung, wie sie in den USA üblich ist und bei uns ebenfalls um sich zu greifen droht. Schon vor 20 Jahren schrieb ich, dass dadurch die Geschmacksschwellen immer höher gesetzt werden und man feine Nuancen für einen arttypischen Geschmack nicht mehr empfindet*. Das betrifft z. B. die Verstärkung „arteigener“ Aromen, den exzessiven Zusatz von Vanille , Zimt etc. unter anderem durch unsere Fernsehköche und natürlich auch die Geschmacksverstärker.
Vor gut 10 Jahren sah ich in einem Supermarkt, der auch die Gastronomie belieferte, ein riesiges Regal mit Kilo-Tüten Glutamat und machte mir so meine Gedanken. Heute ist das Glutamat der Prügelknabe, wobei das Bisschen in einer Tütensuppe – gemessen an den Einsatzmengen andernorts – kaum zu Buche schlägt. Sicher, man braucht es eigentlich nicht und es kann in höheren Dosen für empfindliche Konsumenten, besonders solche mit einer defekten Blut-Hirn-Schranke, unangenehm bis toxisch wirken.
Die Ernährungswirtschaft, entsprechend gescholten, setzte ersatzweise Hefeextrakt ein und bekommt jetzt auch dafür Prügel. Selbst in Anzeigen von Bioprodukten wird heute beteuert, dass kein Hefeextrakt (mehr) enthalten sei. So ist das Produkt, das meine bio-orientierte Großtante schon in den 1950er Jahren aus dem Reformhaus für unsere Vitamin-B-Versorgung immer mitgebracht hatte, in Misskredit geraten. Ich meine zu Unrecht, enthält doch Hefeextrakt mit ca. 10 % weniger Glutamat als andere Quellen, z. B. Getreide- (bis 40 %) oder Milchproteine (25 %) – wenngleich es in letzteren weitgehend in Proteinbindung oder teilweise als Glutamin vorliegt und damit langsamer verfügbar ist. Tomaten enthalten 140 mg freies Glutamat, eine Tütensuppe mit Hefeextrakt < 20 mg pro Portion.
Allerdings enthält Hefeextrakt zusätzlich etwa je 1–1,5 % Inosinmonophosphat bzw. Guanosinmonophosphat – beide ebenfalls Geschmacksverstärker. Davon ist allerdings nie die Rede. Mein oben erwähnter Vorbehalt trifft sie jedoch gleichfalls. Der Hauptgrund des Einsatzes von Hefeextrakt dürfte jedoch der typische und angenehme Eigengeschmack sein, der Hefeextrakt schon früher zum (manchmal besseren) Ersatz von Fleischextrakt werden ließ.
Was mich an der Sache stört, ist, wie undifferenziert man heute auch im Ernährungsbereich „in der Gegend herum schießt“ und dabei wichtigere andere Probleme übersieht.
In diesem Sinne – bleiben Sie bewusst kritisch.
Ihr Helmut Erbersdobler
*Ernährung/Nutrition 16: 703–707 (1992)