Editorial 05/06: Alles neu…?
- 12.05.2006
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Prof.Dr.Helmut ErbersdoblerDas letzte Editorial war noch nicht erschienen, da erschütterte eine weitere Hiobsbotschaft die Ernährungsszene . Laut eines systematischen Reviews, der einer Metaanalyse gleichkommt, wird die Wirksamkeit von n-3-Fettsäuren zur Prävention von Herz- und Kreislauf-Erkrankungen in Zweifel gezogen [Hooper, L. et al., BMJ332, 752-760, 2006].
Auch bezüglich der Prävention von Krebserkrankungen ergaben sich keine positiven Hinweise. Kein Effekt von n-3-Fettsäuren auf das Krebsrisiko war auch das Resümee einer weiteren Arbeit [MacLean et al., JAMA 295, 403-415, 2006]. Letzteres war jedoch nicht so beunruhigend, da diese Evidenz bisher ohnedies noch nicht als überzeugend galt.
Inzwischen hagelte es Proteste und Stellungnahmen, ein gutes Dutzend ist mir schon bekannt. Die n-3-Fettsäuren liegen anscheinend allen am Herzen, erschienen sie doch vielen mehr als ein Strohhalm zur Rettung vor der Haupt-Todesursache Herzinfarkt. Wie schon im letzten Editorial angedeutet, müssen auch Ernährungswissenschaftler – und mit ihnen ihre Klientel – ständig dazu lernen und den Mut aufbringen, ihr Wissen zu hinterfragen. Gerade in der Ernährungsepidemiologie hat sich vieles geändert.
Aussagen aus Querschnittsanalysen (z.B. die Länderstudien über den Zusammenhang von Fettverzehr und Auftreten von Brustkrebs) sind valideren Befunden aus randomisierten und kontrollierten Studien gewichen, und heute sind Metaanalysen das Maß der Dinge. Aber auch Metaanalysen halten nicht immer, was man sich von ihnen verspricht. Bereits eine „verkorkste“ größere Studie innerhalb der Metaanalyse kann offensichtlich das Resultat entscheidend verändern.
Der Beitrag von Günther WOLFRAM im vorliegenden Heft (S. 174 ff.) illustriert die Situation aufs Beste und erlaubt eine Beurteilung des umstrittenen Reviews. Deutlich wird außerdem, dass die Wirkung der n-3-Fettsäuren hauptsächlich beim tödlichen Herzinfarkt gegeben ist, während das Geschehen der Arteriosklerose selbst offensichtlich weniger beeinflusst wird.
Fachleuten bereits bekannt, wurde dies durch den allgemeinen Lobgesang auf „Fischöl-Fettsäuren“ jedoch häufig verdrängt. Die Lösung solcher Probleme ist anscheinend derzeit die Erarbeitung evidenzbasierter Leitlinien, für die alle brauchbaren und validen Studien und Metaanalysen genutzt werden. Das aber ist harte Arbeit und nicht beliebig in allen Teilbereichen der Ernährungswissenschaft durchführbar.
Eine Metaanalyse, so umstritten sie auch sein mag, beeinflusst natürlich auch das Ergebnis einer solchen evidenzbasierten Aussage, deren Validität dadurch möglicherweise heruntergestuft wird (z.B. von „überzeugend“ auf „wahrscheinlich“ oder von „wahrscheinlich“ auf „möglich“ oder sogar auf „unzureichend“). Grundsätzlich werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass gerade in der Ernährung (noch) nicht alles Wissen überzeugend gesichert ist und es auch in Zukunft nicht immer sein kann.
Die biologische Variabilität und die Durchführung der Studien an freiwilligen Probanden werden immer für eine gewisse Streuung der Ergebnisse sorgen. Auf der anderen Seite ist kaum etwas in unserem Leben „sicher“ – wir müssen uns damit abfinden, dass es nur mit einer mehr oder weniger hohen Wahrscheinlichkeit „sicher“ verläuft. Dies sollte zumindest hinsichtlich epidemiologischer Daten auch den Medien klar gemacht werden.
Bei der heutigen Informationsflut und -vielfalt sollten manche wissenschaftlichen Ergebnisse nur gebündelt oder fachmännisch kommentiert weitergegeben werden. Dass dies bei der Gier nach Sensationsmeldungen nicht immer gelingen wird, dürfte klar sein.
Deshalb sind rasche und fachlich saubere Stellungnahmen die einzige und derzeit beste Hilfe.
Schreiben Sie uns, was Sie dazu meinen, das würde mich freuen.
Ihr
Helmut Erbersdobler