Editorial 06/06: Richtfest
- 12.06.2006
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Prof.Dr.Helmut ErbersdoblerAm 16. Mai hat das Europäische Parlament in zweiter Lesung den Entwurf einer Verordnung zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel angenommen. Damit wurde die lange Diskussion um das Für und Wider dieser Regelung beendet. Praktisch gesehen einigten sich Parlament, Kommission und Mitgliedstaaten auf einen Kompromiss, dem nun noch die Mitgliedstaaten förmlich zustimmen müssen.
Nach dem Inkrafttreten der Verordnung bleiben dann noch zwei bzw. drei Jahre, um die zahlreichen noch offenen inhaltlichen Fragen zu klären. Dazu gehört auch die Etablierung von Nährstoffprofilen, die als Grundlage für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben (Claims) dienen. Derzeit liegen über 20 Entwürfe aus verschiedenen Ländern für die Gestaltung/Ermittlung solcher Profile vor. (Deutschland hat bisher keinen Vorschlag gemacht.) Auch die Wirtschaft hat sich bereits auf die neue Situation eingestellt und viele Firmen berücksichtigen diese bereits bei der Entwicklung neuer Produkte.
Das Grundprinzip der Nährstoffprofile wurde bereits im letzten Jahr ausführlich dargestellt (Ernährungs-Umschau 52 (2005), S. 348ff.), es sei aber hier noch einmal kurz zusammengefasst: Lebensmittel sollen nicht nährwert- und gesundheitsbezogen beworben werden dürfen, wenn sie in ihrer Zusammensetzung hohe Gehalte an „unerwünschten“ Nährstoffen aufweisen. Zu letzteren werden vermutlich Fett, gesättigte und trans-ungesättigte Fettsäuren, Salz/Natrium und Zucker zählen, deren „exzessive Aufnahme in der allgemeinen Ernährung nicht empfohlen werden“.
Dagegen werden als positive Nährstoffe „verwertbare Kohlenhydrate außer Zucker, Vitamine, Mineralstoffe, Proteine und Ballaststoffe“ genannt. Eine Auslobung kann nach dem Kompromiss allerdings auch dann erfolgen, wenn ein als ungünstig angesehener Nährstoff in höherer Menge enthalten ist als im Nährstoffprofil festgelegt. Darauf muss dann aber warnend hingewiesen werden (Hoher Gehalt an ...). Außerdem sind in diesem Fall nur nährwertbezogene, nicht aber gesundheitsbezogene Claims möglich.
Unterschiedlich ist in den oben erwähnten Vorschlägen das „Design“ der Nährstoffprofile. Diskutiert werden derzeit Schwellenwertkonzepte (z. B. das “a little, a lot“-Konzept, d. h. ein geringer bzw. hoher Beitrag an einem Nährstoff), die Verwendung von „Ampelfarben“ oder aber ein Profil basierend auf Kennzahlen, die sich aus der Relation der enthaltenen Nährstoffe zu bestimmten Referenzwerten für die Nährwertkennzeichnung ergeben.
Letzteres Vorgehen wurde in dem oben erwähnten Beitrag bereits ausführlich an einem Beispiel erläutert. Der dort beschriebene, sicherlich etwas komplizierte Vorschlag für Kinder aus Großbritannien liegt in vereinfachter Form immer noch vor. Vermutlich wird aber eine noch einfachere Lösung gewählt.
In der Ernährungs-Umschau werden wir sicherlich in nächster Zeit dieses Thema noch häufiger aufgreifen und Autoren mit unterschiedlicher Sichtweise zu Wort kommen lassen.
Grundsätzlich wäre zu wünschen, dass mit der neuen Regelung ein besserer Schutz der Verbraucher vor unlauteren Werbeaussagen erreicht wird und die „Schönfärberei“ von Lebensmitteln, die es nicht wert sind, als gesund bezeichnet zu werden, ein Ende hat. Ob damit der Verbraucher vor einer einseitigen Ernährung – und damit beispielsweise einer Adipositas – geschützt wird, bleibt abzuwarten.
Ich bin da eher skeptisch. Mein Wunsch ist es, dass Nährstoffprofile als Instrument zur Kommunikation lebensmittelbezogener Empfehlungen, etwa ergänzend zu der Darstellung in Pyramidenform, eingesetzt werden. Ob sich die endgültige EU-Festlegung dafür eignet, darf bezweifelt werden. Aber vielleicht tun sich einige kompetente Institutionen (BfR, DGE, aid u. a.) zusammen und entwickeln oder adaptieren einige brauchbare Methoden gemeinsam. Schön wäre es.
In diesem Sinne
Ihr
Helmut Erbersdobler