Nachschlag: Hört sich gut an…

Hören Sie gerne Ihr Essen? Vielleicht erscheint Ihnen diese Frage merkwürdig, ich persönlich lausche ihm jedoch gerne: Geräusche, die Lebensmittel machen, Sounds bei der Zubereitung und beim Kochen, z. T. sogar Tisch- und Essgeräusche. Und damit bin ich nicht allein: Seit einigen Jahren wird das Phänomen, bestimmte Geräusche als besonders angenehm zu empfinden, unter dem Begriff „ASMR“ beschrieben. ASMR steht für Autonomous Sensory Meridian Response/Autonome sensorische Meridianreaktion und beschreibt ein als angenehm empfundenes Kribbeln, sog. tingles, auf der Haut (oftmals der Kopfhaut), welches durch bestimmte akustische Signale hervorgerufen wird.

Die individuell als angenehm empfundene Geräuschpalette ist dabei breit gefächert: Sounds von Gegenständen, Stimmen und Stimmfarben, bestimmte Handlungen (wie das Knistern von Verpackungen) usw. Nicht jede/r ist für dieses sensorische Phänomen empfänglich – bei denen, die es kennen, ist ASMR v. a. wegen der entspannenden Wirkung beliebt.
Seit einigen Jahren etabliert sich der ASMR-Trend in den digitalen Medien. Auf YouTube finden sich Millionen von Videos und viele Menschen verdienen mittlerweile als „ASMRtist“ ihren Lebensunterhalt. Viele von ihnen stellen Lebensmittel bzw. das Essen in den Fokus. Hier werden Lebensmittel angefasst, „getappt“, geschnitten, zubereitet, gekocht und gegessen. Und Millionen von Menschen hören zu und entspannen bei den dabei entstehenden Geräuschen. Genau wie fast alles im Leben hat auch dieser Trend zwei Seiten: Einerseits ist es eine wunderbare Möglichkeit, Essen erfahrbar zu machen und über den Geschmackssinn hinaus bewusst wahrzunehmen. Andererseits zeigen sich gerade im Food-Bereich Ausprägungen, die ich als Ernährungsfachkraft als sehr kritisch empfinde: In sog. Mukbangs1 wird im wahrsten Sinne des Wortes haufenweise Essen vor der Kamera aufgetischt und verspeist. Gerade die Standardmenüs sämtlicher Fastfoodketten erfreuen sich hier riesiger Beliebtheit. Und dass gerade diese Videos Klicks in Millionenhöhe haben (z. T. werden einzelne Videos über 400 Mio. Mal aufgerufen), macht sowohl im Sinne der Nachhaltigkeit als auch im Sinne der Ernährungsbildung Sorge.
Vielleicht eröffnet sich hier aber auch ein ganz neues Wirkungsfeld für uns Ernährungsfachkräfte: Essen mit dem Fokus auf einen speziellen Sinn erfahrbar machen; Genuss verschaffen, auch wenn nicht aktiv gegessen wird. Vielleicht braucht es moderne Ideen in der Ernährungsbildung – die Zielgruppe ist zumindest groß genug.
Hören Sie Ihrem Essen beim nächsten Mal bewusst zu – vielleicht können Sie den Sounds auch etwas abgewinnen.

Ihre Lisa Hahn

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1 Mukbang/Mok-Bang = ursprünglich ein koreanischer Video-Trend, in dem eine Person übergroße Essensmengen verzehrt und sich dabei filmt.



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 7/2022 auf Seite M400.

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