Von wegen Opfer!

Wie sieht es aus? Gehen Sie (a) nur mit eingezogenem Kopf, Ihre Tasche fest umklammert und mit ängstlichen Blicken durch den Supermarkt oder zum Lebensmittelhändler und studieren misstrauisch das Aussehen der unverpackten und die groß- oder kleingedruckten Aussagen auf den verpackten Lebensmitteln? Oder ist der Einkauf von Esswaren (b) für Sie eher ein lustbetontes, auf jeden Fall angenehmes Erlebnis voller Vorfreude auf die Gaumengenüsse, die Sie aus den erworbenen Zutaten bereiten werden? Ach ja, die Variante (c) – Einkauf ist für Sie ein lebensnotwendiges Übel, das oft schlecht vorbereitet und unter Zeitdruck nach Dienstschluss schnell erledigt wird – gibt es ja auch noch.

Zumindest aus meinen Einkaufsbeobachtungen würde ich die Mehrheit der Kunden den Varianten b und c zuordnen. Als „Opfer“ möchten sich wahrscheinlich die wenigsten der Verbraucher sehen, auch wenn immer wieder von Verbraucherverunsicherung und Verbraucherüberforderung gesprochen wird.

In unserem Doppel-Special zu den Themen Betrug mit Lebensmitteln und Risikowahrnehmung der Konsumenten betrachten wir den alltäglichen Handel und Umgang mit Lebensmitteln und ernährungsassoziierten Lebensrisiken dennoch gleich aus zwei Perspektiven: Einmal durch die kriminologische Brille, die für das Delikt des Food Fraud, also der ökonomisch motivierten Lebensmittel(ver)fälschung nun auch die Täter-Opfer-Beziehung als Forschungsgegenstand erkennt (Beitrag Dr. Pamela KERSCHKE-RISCH ab S. M522). Zum anderen analysiert der Soziologe Prof. Dr. Ortwin RENN die paradoxe Risikowahrnehmung der Verbraucher im Zusammenhang (nicht nur) mit Lebensmitteln (Beitrag ab S. M528).

Als Resümee wird deutlich: Das scheinbar banale tägliche Einkaufsgeschehen wird durch viele Rahmenbedingungen, Akteure und persönliche Einstellungen beeinflusst. Ein Mindestmaß an Wissen über Lebensmittel – gewürzt mit einer Prise gesunder Skepsis gegenüber Werbeaussagen –, ausreichende Zubereitungskompetenz und nicht zuletzt Zeit, Interesse und Wertschätzung für unser großes Lebensmittelangebot helfen, dass wir nicht Opfer, sondern Täter bei gezielten Kaufentscheidungen sind. Weder Lebensmittelkontrolleure, noch Informationsverordnungen und Medien oder die Vielzahl von Gütesiegeln nehmen den Verbraucher aus der Pflicht, beim Lebensmitteleinkauf hin und wieder auch den Kopf einzuschalten – damit er nachher mit umso besserem Bauchgefühl genießen kann.

Lassen Sie es sich schmecken!

Ihr Udo Maid-Kohnert



Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 09/16 auf Seite M493.

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