Editorial 11/04: Über die „Jodfalle“ und andere Zeiterscheinungen

Helmut Erbersdobler, Kiel

Prof.Dr.Helmut Erbersdobler

Im vorliegenden Heft findet sich eine Stellungnahme zum Artikel von Rainer Hampel und Helmut Zöllner „Zur Jodversorgung und Belastung mit strumigenen Noxen in Deutschland, eine aktuelle Übersicht“. Anlass für die Untersuchungen von Thomas Remer und Nadine Fonteyn waren die überraschend hohen Jodgehalte in Fruchtsäften, die Hampel und Zöllner mitteilten.

Wie sich jetzt gezeigt hat, waren die eingesetzten Analysenverfahren für Fruchtsäfte nicht geeignet und erbrachten zu hohe Werte. Damit hat sich wieder einmal die alte Analytiker-Weisheit bestätigt, dass es „nicht gibt, was es nicht geben kann“. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um kollektive Ausreißer handelt . Ähnliches hatte sich vor gut zwei Jahrzehnten bereits bei der Analyse von Milch ereignet. Auch dort fanden einige Gruppen sehr hohe Jodwerte und es standen mit Import-Futtermitteln und jodhaltigen Zitzen-Desinfektionsmitteln schnell scheinbar plausible Verursacher fest.

In Wirklichkeit beruhte dies damals wie heute auf der außerordentlich schwierigen Analytik des Jods. Die Gefahr eines solchen Vorgangs liegt sicher darin, dass die falschen Daten längere Zeit in der Literatur herum gereicht werden und Verwirrung stiften. Man kann es aber auch positiv sehen und hoffen, dass sich die Angelegenheit, wie damals bei der Milch, besonders drastisch einprägt und das Jod wieder einmal in den Fokus des Interesses rückt.

Schwerer wiegt es nämlich, wenn man bei Jod in die Falle der Defizitkalkulation bei der Versorgung der Bevölkerung gerät. Denn Vortragende, Verfasser von Buchkapiteln und Produktentwickler bei Firmen ziehen häufig aus den Verzehrsstatistiken gravierende Fehlschlüsse. Entsprechende Tabellen geben nämlich immer die Versorgungssituation ohne Aufnahme aus dem Jodsalz an, die sich praktisch nicht ermitteln lässt. Zwar wird dies, wie es sich gehört, im zugehörigen Begleittext vermerkt – allerdings liest den keiner.

Damit kalkuliert man ein scheinbares Defizit von etwa 50 %, wohingegen die wirkliche Versorgungslücke inzwischen Dank der Jodsalz-Prophylaxe wesentlich geringer ist. Im kommenden Ernährungsbericht wird die Situation durch eine eindeutige Fußnote erklärt, und ich hoffe, dass wenigstens diese in Zukunft gelesen wird.

Ein anderes Problem behandelt Alexandra Deak in ihrem Beitrag über die Veränderung der deutschen Esskultur. Sie beschreibt sehr schön die sozialen Veränderungen und den Wertewandel, der auch auf dem Gebiet der Ernährung stattgefunden hat. Neben dem Trend zur Freizeit- und Spaßgesellschaft gibt es auch den zur Simplifizierung der Nahrung (man kann vereinfachend auch sagen zu Fast Food). Es ist sicherlich sinnlos, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Die jetzige Generation wird aber lernen müssen, damit um zu gehen, genau so, wie die Pisa-Studie und geänderte Arbeitsbedingungen ein Umdenken erzwingen. Vielleicht unterstützt das Eine das Andere.

Über die Konsequenzen, die sich aus diesem Wertewandel im Ernährungsbereich ergeben haben, wurde in der letzten Zeit insbesondere im Zusammenhang mit übergewichtigen Kindern mehrfach berichtet. Kinder sind tatsächlich besonders betroffen und hier muss die Erziehung in allen Bereichen (Familie, Kindergarten, Schule) eingreifen. Eine andere, wesentlich schwierigere, weil uninteressierte und beratungsresistente Gruppe sind die Männer.

Das vermeintlich starke Geschlecht ist häufiger vom Herzinfarkt bedroht, erkrankt häufiger an Krebs und stirbt insgesamt 7 Jahre früher als das „schwache“. Auch an gesundheitsorientierten sportlichen Aktivitäten nehmen deutlich mehr Frauen als Männer teil, obwohl dies letztere wesentlich nötiger hätten. Übrigens: Am 3. November war „Welt-Männertag“ und man hätte dabei vielleicht auch darüber nachdenken müssen.

                                                                                              Ihr
                                                                                              Helmut Erbersdobler

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