Rezension 03/06

Die Molekül-Küche

Gleichermaßen als Institution wie Teildisziplin auf Bekömmlichkeit, Gesund-heitsförderung und Wirtschaftlichkeit von Speisen ausgerichtet, gab es die Kochwissenschaft in Deutschland schon vor einem halben Jahrhundert. 20 Jahre später forderte die alsbald auf „Convenience“ und „Designer-Food“ bedachte Lebensmitteltechnologie zunehmend Kenntnisse über chemische und physikalische Abläufe bei der Lebensmittelgewinnung, -lagerung, -be- und -verarbeitung, über funktionelle Eigenschaften von Lebensmitteln und -zutaten sowie über Struktur-Wirkungs-Beziehungen ihrer Bestandteile.

1990 schrieb der Lebensmittelchemiker Waldemar Ternes ein erstes Lehrbuch über die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Lebensmittelzubereitung, und 1994 erschien von dem Physik und Chemie des Kochens lehrenden Franzosen Hervẻ This-Benckhard ein Buch über die „Rätsel der Kochkunst“. Seither überbietet dieser sich mit Physikern, Chemikern und Spitzenköchen darin, aus der Kochkunst eine Wissenschaft zu machen, die sich irreführend „molekulare Gastronomie“ nennt.

Was die Entzauberer der Kochkunst umtreibt, ist trotz oder wegen der strittig gebliebenen Zuordnung des Geschmacks zu den funktionellen Eigen-schaften von Speisenkomponenten die Gaumenfreuden steigernde kulinarische Vollendung von Mahlzeiten, allerdings ohne Einbeziehung der Psychophysik oder der fortschreitenden Molekularbiologie und -genetik von Geschmacksempfindungen. Nach Einrichtung einer Professur für molekulare Gastronomie in Kopenhagen gibt es denn auch kein Halten mehr, Gourmetküchen zu chromblitzenden High-Tech-Laboratorien aufzurüsten, mit Rotationsverdampfern etwa, Tanks für flüssigen Stickstoff, ausgeklügelten Filtrations- und Trennungstechniken u. a. aufwändigen Ausstattungen.

Der Autor des vorliegenden Buches, als Professor für theoretische Physik und mit eigenen Beiträgen zur molekularen Gastronomie ausgewiesen, benutzt zwar den Begriff im Text, toppt ihn aber im Titel mit dem der noch weitaus irritierenderen „Molekül-Küche“. Was er wirklich hält, verspricht er im Untertitel, nämlich populärwissenschaftliche Aufschlüsse zur „Physik und Chemie des feinen Geschmacks“.

Recht besehen, geht es dabei um mehr als um Aroma und Mund-gefühl. Dabei werden gottlob lediglich die heute noch übliche Küchentechnik und allenfalls gymnasiale Grundkenntnisse in den Naturwissenschaften voraus-gesetzt. So sind alle gegebenen Informationen und Anregungen nicht nur leicht verständlich und kurzweilig anregend, sondern auch für den kochenden Laien nachvollziehbar.

Vilgis, Th.: Die Molekül-Küche. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2005, 216 S., 31 Abb., brosch., 19,80 €

und:

Handbuch der Nahrungspflanzen

Der internationale Tourismus, der globalisierte Handel und die weltweit fortschreitende Erforschung und Entwicklung von Kulturpflanzen haben zu einem ernte- und jahreszeitlich unabhängigen ebenso breiten wie vielfältigen Angebot von pflanzlichen Nahrungsgütern geführt, das schier unübersehbar ist und weder vom Gourmetkoch, noch vom kochenden oder lediglich auf Pflanzenkost bedachten Laien recht eingeordnet und bewertet werden kann. Für eine sachgerechte Orientierung ist das aus dem Südafrikanischen übernommene Gegenstück zum 2004 erschienen „Handbuch der Arzneipflanzen“ ein echter und willkommener Leitfaden: benutzerfreundliche Übersicht, farbige Bebilderung, kurze, prägnante Texte, alphabetische Anordnung nach wissenschaftlichen Namen samt mehrsprachigen Trivialbezeichnungen und ein dementsprechendes umfangreiches Register.

Vorangestellt sind Ausführungen über die Geschichte und geografische Herkunft sowie die wesentlichsten Charakteristiken und Zugehörigkeiten von Getreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen, Früchten, Gemüsen, Würzkräutern, Zucker-, Gummen-, Gel- und Stärkelieferanten sowie von Kulturpflanzen, die ganz oder teilweise für die Gewinnung von Getränken, Gewürzen und Aromastoffen genutzt werden. Nachfolgend werden im Einzelnen zu 354 Pflanzen Auskünfte über Herkunft und Geschichte, verwendete Teile, Anbau, kulinarische Verwertung und Eignung als Nahrungsquelle erteilt.

Das anschließende Kapitel über Nährstoffe, biologisch aktive Substanzen sowie Ernährung und Gesundheit ist wohl für den Laien zum Verständnis einer 36-seitigen Tabelle gedacht, die u. a. Angaben zum Brennwert, Grundnährstoffgehalt und Vorkommen von Vitaminen enthält. Ein angegliedertes Glossar ist allerdings unergiebig und müsste ebenso qualifiziert werden, wie die Liste der weiterführenden Literatur zu aktualisieren und um weitere deutschsprachige Quellen zu bereichern wäre. Berthold Gaßmann, Nuthetal

Wyk, B. F.: Handbuch der Nahrungspflanzen. Ein illustrierter Leitfaden. DAV, Stuttgart 2005, 408 S., 1000 Abb., 39,00 €

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