Nachschlag: Zweierlei Maß
- 13.03.2019
- Print-Artikel
- Helmut Heseker
Vielleicht erinnern Sie sich noch an Werbeslogans für bestimmte Lebensmittel, in denen u. a. deren aktivierende Abwehrkräfte gepriesen wurden, oder an die gesundheitsbezogenen Aussagen omnipotenter Nahrungsergänzungsallheilmittel. Dank der seit 2007 EU-weit geltenden Health-Claims-Verordnung wurde der größte Wildwuchs durch konsequente Anwendung evidenzbasierter wissenschaftlicher Bewertungen erheblich eingedämmt.
Damals wie heute gilt: Je weniger objektiv-sinnvollen Nutzen ein Produkt hat, desto mehr Werbung wird für Absatzerfolge benötigt. So wird immer noch ein Großteil des Werbeetats für die in der Spitze der BZfE-Ernährungspyramide abgebildeten energiedichten, nährstoffarmen Lebensmittel mit wenig gesundheitsförderlicher Wirkung ausgegeben, während Obst und Gemüse kaum beworben werden (müssen).
Für die Werbeindustrie ein noch viel profitableres – und weit weniger als die Ernährung reguliertes – Geschäft stellt die Schönheit des Menschen dar. In Kosmetikwerbung investierte die Branche in Deutschland im Jahr 2018 etwa 1,6 Mrd. Euro, mit der Folge, dass in jedem Haushalt im Schnitt 40 Beauty-Produkte stehen und Frau bzw. inzwischen auch Mann pro Jahr 13,8 Mrd. Euro für Schönheitspflegeprodukte ausgeben. Dies entspricht knapp einem Fünftel dessen, was wir im Jahr bereit sind, für unsere billigen Lebensmittel auszugeben. Kein Wunder also, dass auch unsere globalen Lebensmittelkonzerne längst im lukrativen Healthcare- und Beauty-Geschäft aktiv sind.
Zwar verbietet die 2013 in Kraft getretene EU-Kosmetikverordnung ebenfalls eine Verbrauchertäuschung, sodass es gesetzlich verboten ist, Angaben zu Wirkungen zu machen, die nicht hinreichend belegt sind. Im Gegensatz zu Lebensmitteln sind aber die Regeln für Werbeaussagen für Kosmetika weniger restriktiv – Hersteller müssen lediglich einen Beweis für die Wirksamkeit vorlegen. Glattere, faltenfreie Haut, weißere Zähne und Anti-Aging-Cremes werden als echte Booster angepriesen, selbstverständlich von „Experten“ getestet und mit (fantasievollen) Gütesiegeln versehen. Voll im Trend sind Anti-Aging-Produkte zur äußeren Anwendung, inzwischen auch als Naturkosmetika mit der ganzen Palette vitaminhaltiger Superfood- und Superfruit-Extrakte.
Das BfR bewertet allerdings nur die gesundheitliche Unbedenklichkeit und die möglichen Risiken kosmetischer Mittel und deren chemischer Inhaltsstoffe. Evidenzbasierte Bewertungen liegen i. d. R. nicht vor und niemand erfährt, ob die Wirksamkeit lediglich in einem In-vitro-Versuch, einem Hühnereimodell oder einer nicht repräsentativen Humanstudie mit x nicht näher beschriebenen ProbandInnen ohne statistische Aussagekraft durchgeführt wurde. VerbraucherInnen geben sich also gern der Illusion hin, dass die Produkte schon irgendwie nutzen mögen – und wenn es nur ein sich wohlig anfühlender Placeboeffekt ist.
Ihr Helmut Heseker
Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau in Ernährungs Umschau 3/2019 auf Seite M184.
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