Editorial 3/2024: Eine Welt – ein Ernährungssystem
- 13.03.2024
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- Udo Maid-Kohnert
2019 publizierte die Eat Lancet Kommission ihren Report Food in the anthropocene (in dem die Planetary Health Diet formuliert wurde) und prompt gab es Kritik. Sowohl von den Verfechtern dauerhaften Wachstums (in der Politik zwar teilweise noch unreflektiertes Mantra, in den Lebenswissenschaften längst als pathologischer Vorgang erkannt) als auch von Anhängern des „Rechts“ auf hemmungslosen Fleischverzehr (zumindest für den reichen Teil der Weltbevölkerung).
Aber auch die (Ernährungs)wissenschaft fremdelte anfangs mit dieser „Diät“: Sie basiere auf falschen/unzureichenden Grundannahmen, sei wissenschaftlich nicht ausreichend detailliert und evidenzbasiert, nicht mit allen Fachkolleg*innen, Ernährungstellern, -kreisen, -pyramiden und anderen didaktisch ausgefeilten Empfehlungen abgestimmt – und außerdem ja doch auch irgendwie politisch! Da maßte sich ein Gremium an, praktisch im einfachen Dreisatz-Ansatz zu berechnen, welche Ernährung die Gesundheit der Menschheit und unseres gemeinsamen Planeten am besten unterstützt.
Trotz aller Kritik: Der Report wirkte. War ein Aufschlag. Anlass, endlich und hoffentlich nicht zu spät, die weltweiten Zusammenhänge von Ernährungssystem, Ökologie und Public Health zusammen zu betrachten, anstatt in jedem Land der Welt und jeder wissenschaftlichen Teildisziplin isoliert und teilweise in misstrauischer Konkurrenz um die eigene Expert*innenstellung weiterzuforschen.
Auch unser Special ab Seite M142 in dieser ERNÄHRUNGS UMSCHAU behandelt diesen Themenkomplex und zeigt dabei, dass der anfangs noch grobe Impuls der Planetary Health Diet mittlerweile durchaus die notwendigen Verfeinerungen und kultur-/länderspezifischen Anpassungen erfährt. Sowohl der Ansatz des Life Cycle Assessments (LCA) für Lebensmittel als auch der neue Algorithmus für Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen (FBDG) der DGE zeigen zugleich, wie komplex die Thematik ist. Es wird deutlich, welche Daten (noch) fehlen und welche Bewertungsansätze auch gesellschaftlich ausgehandelt werden müssen. Dies sollte aber nicht als Ausrede „weil zu kompliziert“ genutzt werden, sondern als Anreiz, hier endlich verstärkt aktiv zu werden, sowohl in der Forschung als auch in der Kommunikation dieser Zusammenhänge. Es gibt viel zu tun für Ernährungsfachkräfte.
Ihr Udo Maid-Kohnert
Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 3/2024 auf Seite M121.