Wie schmeckt Ethik?

Bei Lebensmitteln werden immer häufiger nicht nur produktbezogene Eigenschaften wie Geschmack, Gesundheitswert oder Preis beworben, sondern „höhere Anliegen“. Allenthalben begegnen uns Marketingstrategien, die die „ideellen Werte“ eines Produkts anpreisen, z. B. die ethische, ökologische oder soziale Qualität. Aber wieviel Glauben können wir dem schenken? Sind solche Produkte tatsächlich ethisch vertretbar (etwa mit Blick auf Tierwohl oder Arbeitsbedingungen)? Ist die ökologische Dimension für solche Anbieter wirklich von Bedeutung (z. B. Ressourcennutzung) und können wir auf die soziale Qualität vertrauen (z. B. faire Preise, Kinderarbeit)?

Im Spannungsfeld zwischen „Greenwashing“ und „Gutmenschentum“1 stehen viele Verbraucher der Lebensmittelindustrie mittlerweile so skeptisch gegenüber, dass sie ethische Produktwerte generell hinterfragen: Biertrinken für den Regenwald, Süßigkeiten essen für das Klima, kurzum: konsumieren für eine bessere Welt. Nur eine weitere Marketingstrategie, die lediglich der Absatzförderung dienen soll? Dann könnten wir ja weiter getrost zu Produkten von Herstellern greifen, die gar nicht erst vorgaukeln, sie wären ethisch einwandfrei.

Unser Misstrauen gegenüber der Lebensmittelindustrie ist leider oft nicht nur gefühlt, sondern begründet: Die Werbung ist weiterhin voll von irreführenden Aussagen, beschönigenden Bildern und Trittbrettfahrern auf der Ethik-Welle mit „grünen“ Logos – all dies nagt an der Glaubwürdigkeit. Da „ideelle Produktwerte“ zudem sog. Vertrauenseigenschaften sind, können wir beim Kauf schwer prüfen ob sie zutreffen – wir können Ethik nicht schmecken!

Wie schmeckt Ethik? Dass es aber durchaus überzeugende Ansätze gibt, im Lebensmittelmarketing mit ethischen Herausforderungen umzugehen, zeigt Prof. Dr. Christoph Wegmann ab S. M284. Der Beitrag soll Sie Schritt für Schritt bei der Einordnung und Bewertung solcher Marketingstrategien unterstützen – die meisten werden Ihnen sicherlich bekannt sein. Die Ansätze reichen von reinen produkt- bzw. absatzgebundenen Zusatznutzen, die nichts über die sonstige Ausrichtung des Unternehmens aussagen („Wir pflanzen 1 Baum pro gekaufter Packung“ oder „1 % des Preises spenden wir an soziale Einrichtungen“) bis hin zu komplett ethisch konzipierten Marken wie ChariTea oder LemonAid.

Da der Handel aber auch zukünftig freiwillig nur für ihn vorteilhafte Informationen offenlegen wird, sind gesetzliche Regelungen und geprüfte Siegel nach wie vor unverzichtbar. Daher haben wir unsere Fragen zum Fairtrade-Siegel an Rüdiger Meyer von FLO-CERT gestellt, dem Zertifizierer des in Deutschland bekanntesten Labels im fairen Handel (ab S. M294).

Eine ethische Dimension hat alles was wir tun (und nicht tun!), also auch, was wir konsumieren. Darum: Belassen wir es nicht bei Kritik an der Industrie. Informieren wir uns und unsere Kunden oder Klienten, denn bei jedem Einkauf entscheiden wir, welche Produktionsweisen wir unterstützen möchten und welche nicht. Unsere Kaufkraft und Einflussmöglichkeiten scheinen uns oft vernachlässigbar klein, aber wie schon Edmund Burke sagte: „Niemand beging einen größeren Fehler als jener, der nichts tat, weil er nur wenig tun konnte.“

Ihre Stella Glogowski

1 Zu Recht Unwort des Jahres 2011


 

Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 05/16 auf Seite M253. 

Das könnte Sie interessieren
Bunt und außer Kontrolle weiter
Erfassung der Patient*innenzufriedenheit in der ambulanten Ernährungsberatung und... weiter
Der VDOE-Vorstand hat sich konstituiert weiter
Zähes Ringen um leistungsgerechte Vergütung weiter
Neue lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen für Deutschland, Österreich und die... weiter
Ernährungsforschung an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAWs) weiter