Orthorektisches Ernährungsverhalten

  • 13.10.2015
  • Print-Artikel
  • Friederike Barthels
  • Frank Meyer
  • Reinhard Pietrowsky

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Peer-Review-Verfahren | Eingegangen: 22.05.2015 | Akzeptiert: 08.07.2015

Eine weitere Variante pathologischen Essverhaltens

Einleitung

Der Begriff „Orthorexia nervosa“ wurde 1997 vom US-amerikanischen Arzt Steven Bratman aus den griechischen Worten orthós für „richtig, korrekt“ und órexis für „Appetit“ zusammen gesetzt [1]. In Anlehnung an den Begriff der Anorexia nervosa gewählt, bezeichnet diese Wortneuschöpfung eine pathologische Fixierung auf eine gesundheitsbewusste Ernährungsweise. Permanente gedankliche Beschäftigung mit gesunder Ernährung, überwertige Ideen bezüglich der Wirksamkeit und gesundheitsförderlicher Effekte von Lebensmitteln sowie Rigidität hinsichtlich selbst aufgestellter Ernährungsregeln sind weitere Kennzeichen orthorektischen Ernährungsverhaltens. Der Wunsch nach einer schlanken Figur und intendierter Gewichtsverlust sind laut Bratman nicht von Bedeutung. Im Zentrum der Orthorexie stehen vielmehr die Angst, durch ungesunde Ernährung krank zu werden, und in manchen Fällen der Versuch, vorhandene Symptome durch eine besonders gesunde Ernährungsweise zu heilen [1].

Zur Beurteilung der Gesundheitsförderlichkeit von Lebensmitteln werden individuelle und meist subjektive Kriterien herangezogen, die zwar gelegentlich den von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) publizierten Ernährungsempfehlungen entsprechen [2], teilweise aber auch aus ernährungsphysiologischer Sicht als kritisch eingeschätzt werden, wie z. B. die makrobiotische Ernährungsweise [3]. Die individuelle Ausprägung orthorektischen Ernährungsverhaltens ist sehr vielfältig und abhängig von der subjektiven Definition gesunder Ernährung des Betroffenen.

Zusammenfassung

Die gedankliche Fixierung auf gesunde Ernährung und die Vermeidung vermeintlich ungesunder Lebensmittel aufgrund der Sorge, dadurch zu erkranken, wird unter dem Begriff „Orthorektisches Ernährungsverhalten“ als potenzielle weitere Essstörungsvariante diskutiert. Charakteristisch sind außerdem überwertige Ideen bezüglich Wirksamkeit und angenommener gesundheitsförderlicher Effekte von Lebensmitteln sowie zwanghafte Ernährungs- und Zubereitungsrituale. Die Prävalenz in der deutschen Allgemeinbevölkerung wird auf 1–3 % geschätzt, wobei überwiegend jüngere Frauen betroffen sind. Neuere Studien deuten auf Überschneidungen zwischen orthorektischem und anorektischem Ernährungsverhalten hin, weshalb die Klassifikation der Orthorexie als Subtyp der Anorexie diskutiert wird. Zur Behandlung des mit psychischen und sozialen Belastungen assoziierten Essverhaltens wird eine Kombination von Interventionen aus der Essstörungstherapie mit Methoden der Ernährungsberatung vorgeschlagen.

Schlüsselwörter: Orthorexie, Anorexie, Ernährungsverhalten, gesunde Ernährung, Zwanghaftigkeit, Ernährungspsychologie



Introduction

In 1997, US-American physician Steven Bratman created the term „orthorexia nervosa“, combining the Greek words orthós meaning „proper, correct“ and órexis signifying „appetite“ [1]. Analogous to anorexia nervosa, the newly created term orthorexia nervosa describes the fixation on health-conscious eating behavior. Additional characteristics of orthorexic eating behavior are ongoing mental preoccupation with healthy nutrition, overvalued ideas concerning the effects and potential health-promoting benefits of foods as well as rigid adherence to self-imposed nutrition rules. The desire to be thin and the intentional weight loss are irrelevant according to Bratman. In fact, the core symptom of orthorexia is the fear of falling ill due to unhealthy nutrition, and in some cases also the attempt to heal present symptoms with a particularly healthy diet [1].

To evaluate health-promoting benefits of foods, orthorexic individuals implement personal and mainly subjective criteria, that may correspond to the dietary recommendations by the German Nutrition Society [2], but which may also be considered critical from a nutritional or physiological perspective, as for example the macrobiotic diet [3].The individual characteristics of orthorexic eating behavior are versatile and depend on the subjective definition of healthy eating.

Summary

Persistent fixation on healthy nutrition and avoidance of food considered unhealthy in fear of developing an illness is known as “orthorexic eating behavior” and is being recently discussed as a new type of disordered eating. Further characteristics include the presence of overvalued ideas concerning effectiveness and supposed health-promoting effects of foods as well as obsessive and ritualized ways of preparing and consuming foods. The estimated prevalence of orthorexic eating behavior within the German general population amounts to 1–3 %, with predominantly young females affected. New studies indicate that symptoms of orthorexic and anorexic eating behavior tend to overlap, which brings up the question of possibly classifying orthorexia as a subtype of anorexia. Finally, this paper proposes a therapeutic approach combining interventions and methods from classic eating disorder therapy and nutritional counseling as a mean of treating possible consequences of mental or social distress caused by orthorexia.

Keywords: orthorexia, anorexia, eating behavior, healthy eating, compulsivity, nutrition psychology



Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 10/15 von Seite 156 bis 161.

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