Editorial 10/2021: Zusammenarbeit bedarf des gegenseitigen Verstehens

Die Herausforderungen der Humanernährung sind nicht nur Thema der Ernährungswissenschaft mit all ihren Spezialisierungen, sondern auch zentral für Agrarwissenschaft und Humanmedizin. Sich diesen Herausforderungen zu stellen, erfordert sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit zu interdisziplinärer Arbeit. Und hierbei sehen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit konfrontiert, dass sie nicht die gleiche Fachsprache sprechen. Das fängt mit den Begriffen Nahrungssicherheit und Ernährungssicherheit an und setzt sich fort mit der unterschiedlichen Kategorisierung von Makro- und Mikronährstoffen und vielem anderen.

Nun gibt es einen wichtigen Anlauf, die Kommunikation zwischen den Disziplinen zu fördern. Ausgehend von unterschiedlicher Ausbildung und von konkreten Projekterfahrungen fand 2019 ein vom BMEL/BLE gefördertes Treffen von 22 Forscherinnen und Forschern in Gießen statt, die den unterschiedlichen Gebrauch von Begriffen zusammengetragen und diskutiert haben. Ziel war nicht die Vereinheitlichung, sondern die Sensibilisierung für und das Verständnis der Unterschiede in der Wahrnehmung von Begriffen, Sachverhalten und Verfahren. Aus dem Workshop entstand das Projekt eines interdisziplinären Glossars für ernährungs- und agrarwissenschaftliche Forschung. Das Ergebnis wird in diesem Heft vorgestellt ( Beitrag von Jordan, Heil und Keding ab Seite M572). Diesem Glossar ist eine breite Wahrnehmung zu wünschen, damit die Abgrenzungen von Wissenschaftsgebieten und Fachterminologien einer Zusammenarbeit und – wie die Autorinnen es nennen – einem holistischen Ansatz nicht im Wege stehen.

Die Überwindung der Begrenzungen durch die fachspezifische Terminologie ist nicht nur mit Bezug auf globale oder internationale Ernährung relevant, sondern genauso in Deutschland und Europa. Nahrung ist die Grundlage aller Ernährung, aber wie sich Menschen ernähren, ist biologisch, historisch, wirtschaftlich, kulturell, psychologisch und religiös geprägt. Aus Nahrung wird Ernährung, indem sie verzehrt wird; und Verzehr bedeutet für Säuglinge und Kleinkinder, Kranke und Alte, dass sie der persönlichen Unterstützung bedürfen. Ernährung umfasst die Gesamtheit aller Nährstoffe (inkl. Ballaststoffe) und bioaktiver Inhaltsstoffe sowie ausreichend Flüssigkeit. Neben die Primärproduktion von Nahrung ist die Verarbeitung in verschiedensten Formen getreten; sie macht aus Nahrung Produkte, die über Märkte zu den Konsumentinnen und Konsumenten kommen. Diese Marktmechanismen sind zu sekundären Steuerungselementen der Ernährung geworden und beziehen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Nahrungsergänzungsmittel zunehmend ein. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, ist interdisziplinäre Kommunikation unverzichtbar. Dafür haben wir jetzt ein interaktives Glossar, das zur Mitarbeit einlädt.

Michael Krawinkel

Prof. Dr. Michael B. Krawinkel
Institut für Ernährungswissenschaft
Justus-Liebig-Universität Giessen
michael.krawinkel@uni-giessen.de 



Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2021 auf Seite M561.

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