Nachschlag: #Ernährungstrend und der Zeitgeist
- 13.11.2024
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- Sabine Schmidt
Auf der Suche nach #Ernährungstrend spuckte Instagram mir neulich u. a. diesen Trend aus: „‚Anti-‘ (something) foods will remain favorite.“
Anti-cancer, anti-oxidant, anti-inflammatory, anti-aging – diese englischen Begriffe sind uns geläufig: Mit „anti-cancer“-Lebensmitteln „schalte ich mein Krebsrisiko aus“, z. B. mit Brokkoli. Nehme ich „anti-aging-food“ dazu, bspw. grüne Smoothies, bleibe ich zusätzlich jung. Vielleicht noch täglich ein bisschen anti-inflammatory Lachs sowie Avocado (hilft immer gegen irgendetwas), da stehe ich doch schon ganz gut da! Aber hilft das wirklich? Reichen einzelne Ernährungs-Abwehrmaßnahmen gegen gefühlte Risiken aus als alleinige Strategie für etwas so Komplexes wie eine gute Gesundheit?
Moment, einzelne Abwehrmaßnahmen gegen gefühlte Risiken als Gesamtstrategie für ein besseres Leben – nichts anderes versprechen doch eine Reihe von Politiker*innen den Menschen zurzeit. Den „anti-(you-me-first)“-Zeitgeist propagieren die ganze rechte Politikszene und Populist*innen in aller Welt, die damit – wie man bei fast allen Wahlen der letzten Monate schmerzlich wahrnehmen musste – das Herz vieler Wähler*innen treffen.
Beispiel „Anti-Klimahysterie“: „Heizen wie ich will!“ klingt zwar in der Wortwahl wie unser Sohn, als er 4 Jahre alt war, war aber ein ernsthafter Slogan der blauen Partei bei den Europawahlen 2024. Beispiel „Anti-Migrant*innen“: Völlig ohne Scham singen Vertreter*innen der jungen Blauen Lieder voller Hass und Abschiebefantasien im befremdlichen Wahn, dass das a) einer Nation mit unseren Werten würdig ist, b) rechtens ist, c) in irgendeiner Weise den weltweiten Migrationsdruck hemmt. Beispiel „anti-demokratische“ Bestrebungen: Wenn ernsthaft die Verunglimpfung wichtiger gesellschaftlicher Institutionen wie Justiz oder Medien unsere Probleme lösen sollen, wirkt das verstörend auf mich.
Eindimensionale Anti-Parolen sind also gerade hoch gesellschaftsfähig: Sie beruhigen die unsicher in die Zukunft blickenden Menschen – leider jedoch nur im Sinne der „Vogel-Strauß-Taktik“: Mit ihnen lassen sich auf politischer Ebene die Gefahren der Ausbeutung unserer Erde und des ungleich verteilten Wohlstands noch ein bisschen verschleiern, in Bezug auf die Ernährung das individuell steigende Gesundheitsrisiko bei körperignorantem Lebensstil verdrängen. Im Zusammenleben wie beim Essen: Hilfreichere, aber komplexe „Prä-“ oder „Pro-“Strategien sind uns oft zu viel, zu anstrengend, zu einschränkend, die vermeintlich einfachen Lösungen locken uns. Dieser Zeit(un)geist spiegelt sich also auch in den Ernährungs- und Gesundheitstrends wider.
Wenn Sie also den Zeitgeist verfolgen und sehen wollen, wann die Menschen begreifen, dass „Anti“-Lösungen nicht ausreichen und sie hoffentlich wieder zum aktiven Handeln finden, z. B. zu „together first“ oder „pro-earth“, sollten sie #Ernährungstrends aufmerksam beobachten.
Sabine Schmidt
Diesen Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf das nächste Heft in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 11/2024 auf Seite M680.
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