Zu guter Letzt 12/2018: Über das Ernährungsunwissen von AbiturientInnen
- 13.12.2018
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- Helmut Heseker
Das Abitur soll u. a. dazu befähigen, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Vorbei sind die Zeiten, als der Bildungskanon noch durch ein humanistisches Bildungsideal geprägt und die Bildungsdebatte von Altphilologen beherrscht wurde.
Nicht zuletzt durch den Pisa-Schock machten sich BildungsforscherInnen und -politikerInnen daran, die deutsche Bildungslandschaft durch Kompetenzorientierung, neue Bildungsstandards und Kerncurricula gründlich zu reformieren. Inzwischen – und angekommen im digitalen Zeitalter – dominiert vielfach ein mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Bildungskanon. Man sollte meinen, dass bei so viel Reformanstrengungen auch gesellschaftlich relevante und für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit langlebiger gewordener Menschen immens wichtige Themen angemessen vermittelt werden.
Unsere bei Erstsemestern durchgeführte Wissensstanderhebung zu Ernährung und Lebensmitteln zeigt, dass diese vielfach nur über ein unbekümmertes Halbwissen und nicht selten Falschwissen verfügen. Dieses ist weit entfernt vom ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisstand und kommt einer Nutrition and Food Illiteracy nahe. Die die Hochschule bevölkernden youtubenden Digital Natives mögen zwar aufgrund jahrelanger Smartphonetastaturbedienung über eine perfekte neuronale Vernetzung ihrer Daumensteuerung verfügen, über detaillierte Kenntnisse der Nahrung und der Verwertung der Nährstoffe verfügen aber nur wenige. Da geht dann die Nahrung schon einmal vom Mund und Magen direkt in Leber und Bauchspeicheldrüse, an den Nieren vorbei irgendwie bis zur Austrittsöffnung. Dies mag zwar ein Zeichen dafür sein, wie erfolgreich Schule heute das selbstständige Denken, Kreativität und die Entwicklung eigener Ideen fördert – aber doch bitte auf dem Boden wissenschaftlicher Fakten.
Zwar werden besonders in Bio, dem prädestinierten Ankerfach für naturwissenschaftlich orientierte Ernährungsthemen, viele brandaktuelle Themen behandelt. Da aber die Lehrpersonen oft nicht über das Alltagswissen von AkademikerInnen hinausgehende ernährungswissenschaftliche Expertise verfügen, fristen Ernährungsthemen oft nur ein Randdasein. Dann ist es nicht verwunderlich, dass SchülerInnen Energiegehalte von Lebensmitteln fehleinschätzen, mit der Angabe F.i.Tr. nichts anfangen können oder frisch gepressten Bio-Saft gegenüber einem Handelsprodukt als energiearm einstufen.
Da das Ernährungswissen durchaus einen Einfluss auf das Essverhalten – mit Auswirkungen auf Gesundheits- und Lebenserwartung – hat, sollte es in einem ökonomisierten, im globalen Wettbewerb stehenden Land nicht nur von Zufällen und der Motivation einzelner LehrerInnen abhängen, ob unser Nachwuchs die Schule zumindest mit ausbaufähigem Ernährungsbasiswissen verlässt, welches zu einem gesunden Lebensstil und langem Leben befähigt.
Ihr Helmut Heseker
Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau in Ernährungs Umschau 12/2018 auf Seite M720.
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