Editorial 01/05: Unfassbares Leid und Überfluss

Prof.Dr.Helmut ErbersdoblerDurch die verheerende Flutkatastrophe in Südostasien rückt alles in den Hintergrund, was sonst noch im Jahr 2004 geschehen ist. Vorrangig sind jetzt die Linderung der Not und die erste Aufarbeitung der Schäden. Sauberes Wasser und gesunde Lebensmittel gehören selbstverständlich auch dazu. Spendenaufrufe, um den Menschen zu helfen, können nicht oft genug wiederholt werden. Spenden statt Böller, lautete Silvester die Devise.

Jetzt sollte die Parole heißen: Gute Vorsätze für das neue Jahr in Spenden ummünzen. Also spenden Sie etwas von dem Geld, das Sie durch den Verzicht auf das Rauchen bzw. auf alkoholische Getränke oder durch die Zurückhaltung beim Essen sparen, für die betroffenen Länder!

Wie aberwitzig es ist, dass nur wenige Flugstunden entfernt Millionen Menschen hungern und um ihr Überleben kämpfen, während bei uns das Hauptinteresse dem Übergewicht und der Adipositas gilt, wurde schon oft beschworen. Jetzt empfinden wir dies bedrückender denn je.

Bei uns erregte 2004 im Bereich der Ernährung nichts so viel Aufsehen wie die neuen „Abspeckvarianten“ im Umfeld des glykämischen Index bzw. der sog. Low-Carb-Ernährung. Mehrere Bücher hierzu gelangten sogar in die Bestseller-Listen. Dies zeigt, wie viel Hoffnung Verbraucher in solche „Rezepte“ setzen.

Vielleicht ernüchternd, bei genauem Studium aber sehr plausibel, verdeutlichen zwei Arbeiten in diesem Heft die Situation bei Normal- und Übergewichtigen. Nicht die Fette, nicht die Kohlenhydrate sind die Übeltäter, vielmehr ist es die überhöhte relative Energiezufuhr – genauer gesagt, die Energiedichte der Nahrung. Denn ein Lebensmittel mit hohem glykämischen Index besitzt ebenso wie ein fettreiches Lebensmittel sehr wahrscheinlich eine hohe Energiedichte.

Es macht also Sinn, innerhalb der kohlenhydratreichen Lebensmittel auf solche mit einem niedrigen glykämischen Index zu achten und fettreiche Lebensmittel nur in Maßen zu verzehren. Dies erlaubt aber nicht den Umkehrschluss, Low-Carb-Nahrung sei automatisch energiearm. Oft werden unter „Low Carb“ nämlich nicht wasser- und ballaststoffreiches Obst und Gemüse, sondern fett- und eiweißreiche Lebensmittel tierischen Ursprungs verstanden.

Bei allen Bedenken muss eingestanden werden, dass mit solchen Extremdiäten gewisse Erfolge erzielt werden. Allerdings sind aus wissenschaftlicher Sicht noch drei Fragen zu klären:

1. Wie wird ein dem Energiebedarf angepasster Verzehr erreicht und Überernährung vermieden? Gelingt dies besonders gut mit einer monotonen Ernährung , ist die Signalwirkung bestimmter Nährstoffe entscheidend oder die Energiedichte und damit die Füllung des Magen-Darm-Trakts? Oder wirken alle Faktoren zusammen, aber welcher dominiert?

2. Wie viel „Extremdiät“ hält der Mensch wie lange ohne gesundheitliche Schäden aus und gibt es individuelle Unterschiede hinsichtlich dieser Toleranz?

3. Wie wirkt sich unterschiedliche körperliche Aktivität aus?

Bis zur Beantwortung dieser Fragen sollten wir Extremlösungen, z. B. einer kohlenhydratarmen und fettreichen Diät, misstrauen.

Eine Aussage erscheint mir jedoch sehr logisch, nämlich dass bei der heute üblichen weitgehend sitzenden Tätigkeit mit nur mäßiger Freizeitaktivität die Energiedichte unserer „Western Diet“ zu hoch ist, um bei jedem eine ausreichende Verzehrsregulierung zu gewährleisten. Denn die erfordert ein Ausmaß körperlicher Aktivität, das nur mit überwiegend stehend oder gehend durchgeführten Tätigkeiten bzw. entsprechendem Freizeitsport erreicht wird (PAL-Wert über 1,7).

Ich wünsche Ihnen ein gesundes und glückliches Jahr 2005 mit maßvollem Essen und viel Bewegung. Und spenden Sie für die Flutopfer!

Ihr

Helmut Erbersdobler

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