Editorial 02/08: Mehr Lebensmittel – mehr Gesetze?

Prof.Dr.Helmut Erbersdobler

1. Kürzlich fragte ich einen Taxifahrer, ob er mit seinem Auto zufrieden sei. Es kam ein Schwall von Klagen, darunter, dass der Motor für das Aus- und Einfahren des Aschenbechers immer kaputt sei. Früher, so sagte er, war der Aschenbecher mit einer Feder eingebaut, die ihn auf Knopfdruck herausschnellen ließ. Nach Gebrauch schob man ihn einfach wieder rein. Heute muss es ein Motor machen, der ständig defekt ist und Reparaturkosten verursacht. Ich dachte spontan an unsere Lebensmittel, mit dem Unterschied, dass es keine „Autoaschenbechermotorkennzeichnungsverordnung“ gibt.

Die Lebensmittelwirtschaft beklagt sich, dass die Kennzeichnung immer umfangreicher und unübersichtlicher würde. Ja, wer aber tut all das rein, was drin ist und dann gekennzeichnet werden muss? Wer kreiert ständig neue, überaus komplexe Convenience-Produkte?

Die Lebensmitteltechnologie sollte einen Forschungszweig gründen, der nachprüft, auf was man inzwischen alles wieder verzichten kann. Dass es geht, macht die Wirtschaft z. T. vor und wirbt z. B. mit den Slogans „ohne Konservierungsstoffe“ oder „ohne Geschmacksverstärker“. Weiter so! Vielleicht gibt’s ja noch mehr, was man nicht wirklich braucht.

2. Viele Vorschriften sind sinnvoll, besonders im Hygienebereich. Es stimmt zwar, dass Länder, die weniger strenge Gesetze als Deutschland haben, auch noch nicht ausgestorben sind. Dies beruht aber auf einer günstigeren Resistenzsituation und wurde mit hohen Verlusten (z. B. Kindersterblichkeit) erkauft. Damit wird nicht bestritten, dass vieles überreglementiert wird und manches unsinnig erscheint.

Aber wo fängt man an? Wo ist die Henne, wo das Ei? Lange bestand die Hoffnung, dass die innerbetrieblichen prozessbegleitenden Kontrollen die Probleme lösen können. Vorgänge der letzten Zeit, z. B. die Gammelfleisch-„Skandale“, stellen dies aber leider wieder in Frage.

3. Im Zusammenhang mit den Nährwertprofilen wird immer das Gespenst der guten und schlechten Lebensmittel heraufbeschworen (vgl. S. 68 ff.). Die Empfehlung, dass Lebensmittel, die reich an einigen Nährstoffen wie gesättigte Fettsäuren, Zucker und Kochsalz sind, in nicht zu hoher Menge gegessen werden sollten, gab es aber bisher auch schon. Sie wird durch die Nährwertprofile nur insofern erweitert, dass für diese Lebensmittel nicht auch noch z. B. mit einem funktionellen Zusatz gesundheitsbezogen geworben werden sollte.

Die Nährwertprofile verbieten ja kein Lebensmittel, sie greifen nur in die claimbezogene Werbung ein, regeln somit (hoffentlich), dass nicht aus vermeintlicher (durch die Werbung aufgeschwatzter?) gesundheitlicher Vorsorge zu viel von einem sonst nicht vollwertigen Produkt verzehrt wird. Die Wirtschaft betont immer die Selbstverantwortung der Verbraucher, spricht ihnen aber gleichzeitig die Fähigkeit ab, den Deklarationswirrwarr zu verstehen.

Mag sein, aber sehen Sie sich einmal die tägliche gesundheitsbezogene TV-Werbung an. Trägt diese zur wirklichen Verbraucheraufklärung bei? Man könnte hoffen, dass die Nährwertprofile einen Teil dieser Auswüchse beseitigen.

Also, am besten, Sie rauchen nicht, dann brauchen Sie auch keinen Aschenbecher.


In diesem Sinne

Ihr

Helmut Erbersdobler

Das könnte Sie interessieren
Ich weiß, dass ich nichts weiß: Umfrage-Hochs und -Tiefs weiter
Ernährungstherapie bei pädiatrischem Morbus Crohn weiter
German-Nutrition Care Process (G-NCP) – Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung weiter
Mangelernährung – ein diätetisches Problem in verschiedenen Settings weiter
Herzlichen Glückwunsch Sektion Hessen – DGE e. V. weiter
Pflanzliche Speisefette und -öle weiter