Editorial 06/05: Die neue Seuche?

Prof. Dr. Hans Hauner

Der Diabetes mellitus Typ 2 wird auch in Deutschland immer häufiger. Derzeit werden hierzulande zwischen 5 und 6 Millionen Menschen wegen eines Diabetes mellitus behandelt. Weitere 2 Millionen Menschen haben, konservativ geschätzt, einen unentdeckten Diabetes. Da die Krankheit anfangs symptomarm oder völlig beschwerdefrei verläuft, vergehen oft viele Jahre bis zur endgültigen Diagnosestellung und dem Therapiebeginn. In dieser Zeit wird bereits der Grundstein für die gefürchteten Organkomplikationen gelegt.

Besorgnis erregend ist der immer frühere Beginn der Erkrankung. Jugendliche oder junge Erwachsene mit Typ 2-Diabetes sind heute keine Ausnahme mehr. Hauptursache ist zweifellos die Zunahme von Übergewicht bzw. Adipositas, die wiederum Folge von inadäquater Ernährung und Bewegungsmangel ist. Insbesondere die Konstellation von Adipositas einerseits und einer Diabetesbelastung in der Familie andererseits ist mit einem hohen Risiko für die spätere Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 verbunden.

Vor diesem Hintergrund kommen die aktualisierten Ernährungsempfehlungen der Diabetes and Nutrition Study Group der Europäischen Diabetes Gesellschaft wie gerufen. Diese bereits in der Vergangenheit stets sorgfältig ausgearbeiteten Empfehlungen wurden jetzt von einer europäischen Expertengruppe nicht nur aktualisiert, sondern auch mit Evidenzbewertungen versehen, um dem Leser noch deutlicher vor Augen zu führen, wie gut die einzelnen Aussagen gesichert sind.

Mehrere deutsche Fachgesellschaften (Deutsche Diabetes-Gesellschaft, Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin) haben sich dieser Empfehlung angeschlossen, so dass damit für die Ernährung von Menschen mit Diabetes erfreulicherweise einheitliche Empfehlungen zur Verfügung stehen (S. 216ff.).

Was ist inhaltlich in den Leitlinien neu? Zunächst ist festzustellen, dass sich die Grundprinzipien nicht verändert haben. Im Vergleich zu den Empfehlungen im Jahr 2000 wird aber beispielsweise größerer Wert auf eine hohe Ballaststoffzufuhr (über 40 g/Tag) gelegt, am besten in Form von Gemüse, Obst und vor allem Vollkornprodukten. Stärker als bisher wird die Qualität der Nahrungsfette, aber auch die Etablierung einer langfristigen Gewichtskontrolle betont.

Alle Experten sind sich einig, dass der Diabetesepidemie nur durch breite Präventionsaktivitäten wirksam begegnet werden kann. Das im vergangenen Jahr etablierte Nationale Aktionsforum Diabetes mellitus hat dazu ein Positionspapier verfasst, das die Bedeutung und Wirksamkeit der Diabetesprävention durch eine Änderung des Lebensstils noch einmal deutlich unterstreicht (vgl. S. 222ff.).

Auch die neue Praxis-Leitlinie „Adipositas und Diabetes mellitus“ (S. 220ff.) soll hierzu einen Beitrag leisten, zumal die Adipositas der entscheidende Promotor und Schrittmacher des Metabolischen Syndroms ist. Der Nutzen einer wirksamen Adipositasbekämpfung geht daher weit über die Diabetesprävention hinaus und senkt das Risiko für nahezu alle Wohlstandserkrankungen. Diese Ausgabe der Ernährungs-Umschau enthält zusätzlich die wissenschaftliche Evaluation des Selbsthilfeprogramms der DGE „Ich nehme ab“ (S. 226ff.).

Das DGE-Programm wurde dabei in einer beratergestützten Version im Leipziger Ernährungs- und Trainingszentrum bei 119 übergewichtigen Frauen und Männern eingesetzt. Bei den Teilnehmern konnte ein durchaus respektabler Gewichtsverlust erreicht werden; die Auswertung der Ernährungsprotokolle zeigte zudem, dass ein gesünderes Ernährungsmuster erzielt wurde. Obwohl diese Ergebnisse nicht auf die übliche Nutzung des Programms, nämlich in Eigenverantwortung, übertragen werden können, zeigen sie doch, dass dieses kostengünstige und lebensnahe Konzept erfolgreich ist und zu einer gesünderen Ernährung und besseren Gewichtskontrolle beitragen kann.

Ihr

Hans Hauner

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