Zu guter Letzt 06/13: Rein mit den Kartoffeln
- 14.06.2013
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- Redaktion
Das waren noch Zeiten, als der Anbau von Kartoffeln unter staatlicher Kontrolle erfolgte und die im Zuge des „Kartoffelbefehls“ angelegten Felder von Soldaten bewacht1 wurden [1]. Heute müsste wohl eher kontrolliert werden, wer auf dem Weg vom Saatgutbetrieb über den Landwirt, den Groß- und Einzelhandel bis zum Kunden seine eigene Ernte einfährt – in Form überhöhter Gewinnspannen durch Preisabsprachen.
Und huch: Da ist die Aufregung wieder groß, dass so etwas passieren kann auf unserem Lebensmittelsektor, ich warte schon auf einen „Aktionsplan“. Und na klar: Andere haben es natürlich schon seit langem gewusst [2, 3], dass Marktkonzentration, Oligo- oder gar Monopole nicht so gut für den Wettbewerb sind. So aufgeregt wird über das „Kartoffel- Kartell“ berichtet, dass einem die Zahlen vor den Augen verschwimmen: Je nach Quelle verzehrt da jeder Bundesbürger von der dollen Knolle mal 30 kg [2], mal 60 kg/Jahr [3].
Wenn man hier schon den Überblick verliert2, wer will dann abschätzen, ob die Gewinnspanne auf dem oben beschriebenen Weg 10 oder 100 J pro Tonne [2] beträgt? Dann gab es ja auch noch den „Sortenkrieg“: Die beliebte Sorte „Linda“ wurde für 3 Jahre vom Markt genommen und der großflächige Anbau verboten .
Und um dem nahrhaften Nachtschattengewächs die (sorten-)vielfältige Existenz auf dem Acker gänzlich schwer zu machen, scheinen einige EU-Bürokraten seit der Liberalisierung der optimalen Gurkenkrümmung ein neues Tätigkeitsfeld gefunden zu haben: Unter dem euphemistischen Slogan „smart rules for safer food“ werden im Entwurf der neuen EU-Saatgutrichtlinie erhebliche rechtliche und finanzielle Hürden für die Anbieter von Saatgut definiert, die die Konzentration auf dem Saatgutmarkt beschleunigen werden. Was prompt heftige Gegenaktionen auf den Plan ruft (z. B. Save Our Seeds [4]).
Entscheidet da wirklich noch der einzelne Landwirt, welches Ackergold auf seinen Böden am besten gedeiht und schmeckt, oder bestimmen Großhändler und Abpackbetriebe, welche Sorten im Regal landen? Und muss ich mir demnächst ein „legalize it“ T-Shirt anziehen, wenn ich die schrumpeligen Kartoffeln aus der Ernte des Vorjahres wieder als Saatkartoffeln in die Erde lege? In der Biologie ist bekannt: Je höher die Diversität in einem Ökosystem, desto stabiler ist es. Und auch für unsere Ernährung gilt: je vielfältiger, desto besser. Vielleicht sollten die EU-Richtlinientexter und Markt-Regulierer sich das zu Herzen nehmen.
Ihr Udo Maid-Kohnert
Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 06/13 auf Seite M368.
Die Literatur zu diesem Artikel finden Sie im Internet unter
www.ernaehrungs-umschau.de/service/literaturverzeichnisse/
1Angeblich sollte die Bewachung der Felder das Produkt Kartoffel nur begehrenswert machen, da die als giftig angesehene Knolle damals alles andere als beliebt war. Den „Kartoffelbefehl“ von 1756, der die Bauern zum Anbau der Kartoffel zwang, erließ Friedrich II. zur Vermeidung von Hungersnöten [1].
2Die Nationale Verzehrsstudie (NVS II) gibt für Männer 83 g/Tag und für Frauen 65 g/Tag an, das entspricht 30 bzw. 23 kg/Jahr. Beleg/Autorenexemplar! Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.