Editorial 08/11: Die (Gewichts-) Spirale
- 14.08.2011
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Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
Herausgeber
Vor einigen Tagen war ich auf einer kleinen Feier der Kieler Obesity Präventions Studie , die vor 15 Jahren angesichts der steigenden Adipositas-Prävalenz bei Kindern gegründet wurde*. Während zur damaligen Zeit zunächst die Ernährung im Fokus der Adipositasforschung stand, rückte besonders bei Kindern schon bald der Mangel an Bewegung ins Zentrum des Interesses.
Schmerzlich wird aber immer deutlicher, dass es nicht nur unsere ‚Western Diet‘, sondern unsere ganze westliche Lebensführung ist, die uns zu Ungesundem verführt. Im Rahmen der KOPS haben die Kieler Kollegen z. B. herausgefunden, dass es in Kieler Stadtgebieten, in denen die Kinder häufiger übergewichtig sind, auch deutlich mehr Fast-Food-Restaurants gibt. Das ist sicher keine ursächliche, sondern eher eine reaktive Beziehung. Sie zeigt aber auf, wie sich Nachfrage und Angebot in einer unheiligen Spirale hochschrauben.
Dies gilt sicher auch für zuckerhaltige Softdrinks, Junkfood und mit Bezug auf die Bewegungsarmut für verführerische Angebote im Fernsehen und am PC. Auch das allzeit bereitstehende Auto spielt hier eine fatale Rolle. Dass die kognitive Kontrolle dieses Überflusses bei bildungsschwächeren Schichten weniger gut funktioniert, muss einen nicht wundern.
Was tun? Wir können unsere industrialisierte Welt nicht wieder abschaffen. Aber wir können Wege aufzeigen, wie man die Verführung umgeht, ihr gar widersteht. Wir müssen den Weg über Aufklärung und Bildung – also über Kindergärten, Schulen und Vereine suchen (der Beitrag und das Interview zum Special in diesem Heft schildern Ansätze). Kinderspielplätze und Hausgärten müssen mit sportlich fordernden Geräten ausgerüstet werden. Auch die Information der Bevölkerung über das neue Portal der Verbraucherzentralen (s. S. 456) kann dazu beitragen.
Auf eine Selbstbeschränkung der Anbietenden (Ernährungswirtschaft, TV-Gesellschaften) zu hoffen, dürfte illusorisch sein. Auch hier schaukeln sich die Angebote auf einer Spirale der Möglichkeiten hoch. Wer bescheidet sich schon gerne und überlässt dem Mitbewerber den Vorsprung? Aber Apfelschorle und Wellness-Getränke mit reduziertem Zuckergehalt boomen bereits und machen Hoffnung auf weitere Aktionen.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Helmut Erbersdobler
*PLACHTA-DANIELZIK et al. Bundesgesundhbl54, 304–312 (2011)