Nachschlag: Blühende Erbsenlandschaften braucht das Land

Noch tut sich vergleichsweise wenig in unserem Land – im Vergleich zu den Niederlanden oder Kalifornien. Dort entwickeln mit reichlich € bzw. $ ausgestattete Start-Ups eine New Food Economy mit dem Ziel, den Proteinhunger einer stetig wachsenden Weltbevölkerung möglichst klimafreundlich und ohne Tierleid zu stillen. Zielgruppe sind nicht nur KlimaaktivistInnen und VegetarierInnen, sondern das große Heer an Ottonormal- und Hardcore-FleischesserInnen.

Und da die meisten Menschen hartnäckig an traditionellen Speisen festhalten und ungern etwas essen, das zu sehr nach Verzicht schmeckt, werden Hightech-Fleischersatzkreationen entwickelt, die ein klimafreundlicheres Leben auch mit saftigem Fleischgenuss ermöglichen. Aus der Erkenntnis heraus, dass Fleisch lediglich aus Proteinen bzw. Aminosäuren, Lipiden, Wasser und Mineralstoffen besteht, werden neben den im letzten Heft an dieser Stelle angesprochenen Insekten zunehmend Hülsenfruchtmoleküle zu Fleischimitaten extrudiert, die sich inzwischen optisch und entsprechend gewürzt auch geschmacklich kaum mehr von den Fleischvorbildern unterscheiden und mit den alt bekannten, eher faden Tofuschnitten, Grünkernfrikadellen und TVP-Schnitzeln nicht zu vergleichen sind. So entwickelte Beyond Meat einen u. a. aus Erbsenproteinen, Rapsöl, Rote-Bete-Saft und Raucharomen bestehenden Burger mit verblüffend echter Faserstruktur, der mit Würzsaucen nicht von einem Fleisch-Patty zu unterscheiden ist. Impossible Foods entwickelte – aus den bei uns allerdings als ökologisch weniger korrekt angesehenen Sojaproteinen – den Incredible Burger, der sogar beim Reinbeißen „blutet“ – dank ursprünglich in Sojawurzeln vorkommendem Leghämoglobin, das heute mithilfe genmodifizierter Hefen hergestellt wird.

Vor dem Hintergrund eines auf 140 Mrd. $ geschätzten Zukunftsmarkts ist es kein Wunder, dass Lebensmittelkonzerne und Burgerketten längst fleischlose Pattys zwischen die Brötchenhälften legen – nicht etwa, weil diese ethisch und ökologisch korrekter sind, sondern weil diese perfekten Imitate gut schmecken und ein hohes Wachstumpotenzial versprechen. Nachdem Lidl bei einer ersten Probevermarktung des Erbsenproteinburgers einen wahren Run erlebte und inzwischen weitere Discounter auf den Plant-Based-Food-Zug aufgesprungen sind, dürfte auch bei uns bald die Nachfrage nach einheimischen Erbsen, Bohnen, Lupinen und Linsen steil ansteigen. Nicht nur Onkel Dagobert würde heute in blühende Erbsenlandschaften investieren.

Damit wir KonsumentInnen im Laden nicht erst lange nach einem fleischlosen Burger suchen müssen, werden diese bezeichnenderweise bevorzugt in der Fleischecke angeboten, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass uns gar nicht mehr bewusst wird, dass es sich um nachgeahmte Burger, Wurst oder Hähnchenbrust handelt. Inzwischen sollen manchem Vegetarier die neuen veganen Kreationen bereits zu fleischig schmecken.

Ihr Helmut Heseker



Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2019 auf Seite M504.

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