Zu guter Letzt 10/15: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“
- 14.10.2015
- Print-Artikel
- Prof. Dr. Helmut F. Erbersdobler
In letzter Zeit überschlagen sich die Medien förmlich mit Schelte für Lebensmittelhersteller. Zu wenig Nachhaltigkeit, zu viele billige Zutaten und Zusatzstoffe, Bereicherung auf Kosten der Gesundheit der Verbraucher u. v. m. werfen sie ihnen vor. Dabei waren Lebensmitteltechnologen und Hersteller vor einigen Jahren noch stolz auf immer neue Innovationen mithilfe derer man preisgünstig wohlschmeckende und lange haltbare Lebensmittel herstellen konnte. Wir können viel machen und was wir machen können, machen wir auch – war die Devise. Warnungen, den Bogen nicht zu überspannen, wurden nicht beachtet.
Wie kam es zu dieser Entwicklung, die jetzt im shitstorm endet? Wie schon öfters erwähnt, ist offensichtlich die unglückliche wettbewerbliche Spirale um die Käufergunst, insbesondere über den günstigsten Preis die Ursache. Ist es der Verbraucherwunsch nach preisgünstigen, vermeintlich hochwertigen Lebensmitteln oder das verlockende Angebot der Firmen? Analog zur obigen Überschrift aus dem Gedicht „Der Fischer“ von GOETHE ist es wohl eine beidseitige Wechselwirkung. Dabei werden die Konsumenten nicht einmal belogen, denn in der Zutatenliste steht alles drin. Verwirrende, vollmundige Werbeaussagen und Verpackungsaufdrucke haben aber schon eine gewisse irreführende Wirkung. Dies alles aufzudecken und die Verbraucher entsprechend zu informieren, ist sicherlich eine edle Aufgabe der Medien. Leider nehmen sie diese vielfach in übertriebener Art und Weise wahr und überhöhen ihre Berichte skandalträchtig (um Quote zu machen?). Verbraucher sind u. a. dadurch so verunsichert, dass sie auch den seriösen Empfehlungen nicht mehr glauben und z. B. zu Nahrungsergänzungsmitteln und esoterischen Heilslehren greifen, um „gesund“ zu bleiben. Dadurch werden manchmal auch notwendige ärztliche Maßnahmen versäumt oder zumindest die Taschen der Verbraucher ungerechtfertigt geleert.
Man sollte nicht die Segnungen der modernen Lebensmittelherstellung vergessen; dazu einige Beispiele: Tuberkulose, mit der sich früher Millionen v. a. über Milch infiziert haben, ist getilgt. Früher konnte Bier nur frisch verkauft werden, es war nur einige Tage bis Wochen haltbar. Brot enthielt in schlechten Jahren bis zu 40 % Unkrautsamen mit z. T. verheerenden Wirkungen, wie im Falle des Mutterkorns. Viele Unverträglichkeiten lassen sich heute durch rasch entwickelte spezielle „frei-von“-Produkte beherrschen. Noch in meiner Kindheit gab es im Winter Obst und Gemüse vielfach nur über schrumpelige Äpfel, Kompott und Sauerkraut. Da lobe ich mir heute – Regionalität hin oder her – zumindest die Zitrusfrüchte. Ob wir unseren Fleischbedarf – selbst wenn wir ihn, wie empfohlen, auf die Hälfte reduzieren – allein über die Metzger unseres Vertrauens decken könnten, möchte ich bezweifeln.
Nein, das Jammern auf hohem, elitärem Niveau und die einseitige Beschimpfung (Verteufelung) einer ganzen Sparte sind nicht richtig. Ja, man soll üble Vorkommnisse und echte Skandale aufdecken und anprangern. Das Erhaschen und Übersteigern von vermeintlichen Skandalen sollten die Medien aber meines Erachtens unterlassen.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Helmut Erbersdobler
Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 10/15 auf Seite 612.
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