Editorial: Ernährung – total und phänomenal

  • 15.01.2018
  • Print-Artikel
  • Prof. Dr. Helmut Heseker
  • Prof. Dr. Helmut F. Erbersdobler
  • Dr. Udo Maid-Kohnert

Der französische Ethnologe und Soziologe Marcel MAUS (1872–1950) hat Ernährung als „Totalphänomen“ bezeichnet, da Ernährung „bis zur Unkenntlichkeit mit der Gesellschaft verwoben“ sei ([1], zitiert nach [2]). Eine Fachzeitschrift zum Thema Ernährung sollte daher keinen Aspekt dieses Totalphänomens unberücksichtigt lassen und diesen einzelnen Webfäden nachspüren, zumal wenn diese den Titel ERNÄHRUNGS UMSCHAU trägt.

Der Blick auf das Themenregister des Jahrgangs 2017 zeigt, dass Redaktion und Herausgeber der ERNÄHRUNGS UMSCHAU diese Aufgabe ernst genommen haben. Das thematische Spektrum und die Qualität der eingereichten Manuskripte machte es möglich, diese Vielfalt von Teilphänomenen aufzugreifen: Von physiologischen Fragen der Sensorik bis hin zur Verbreitung von Ernährungs- Apps, von Therapieoptionen bei Adipositas bis hin zu Insekten als Lebensmittel oder rechtlichen Rahmenbedingungen bei Produkteinführungen im Lebensmittelsektor reichten die Themen. Hochgerechnet auf die vergangenen 64 Jahre dürfte es kaum ein Ernährungsthema geben, dass in der Fachzeitschrift nicht aufgegriffen und diskutiert wurde.

Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU bietet somit ein wichtiges Forum, auf dem Forscher und Multiplikatoren der zahlreichen Teilgebiete der Ernährung ihre Ergebnisse präsentieren, Input anderer Fachrichtungen kennenlernen und nicht zuletzt miteinander in einen Diskurs treten können. Seit vielen Jahren bereits erhöht dabei die freie Verfügbarkeit der englischen Volltexte die Reichweite aller Artikel der Rubrik Wissenschaft & Forschung auch international. Der Diskurs beginnt häufig schon in der Begutachtungsphase, wenn z. B. die – zum Teil sehr enge – naturwissenschaftliche Methodik auf soziologische Fragestellungen prallt, wenn deutlich wird, dass nicht alle ernährungsbezogenen Fragen einer evidenzbasierten Analyse zugänglich sind, sei es aus methodischen oder ethischen Gründen.

Forschung auf dem Gebiet der Ernährung wird mit diesem – fruchtbaren – Widerstreit der Disziplinen leben müssen, da Ernährung sich nicht beliebig abstrahieren oder reduktionistisch in Teilprozesse zerlegen bzw. ausschließlich in vitro untersuchen lässt, ohne dabei teilweise die Relevanz für bzw. die Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse auf das reale menschliche Leben zu verlieren. Und gerade diese Relevanz der Ernährungsforschung für die tägliche Ernährung(spraxis) ist es, die die Mehrzahl unserer Abonnenten im nunmehr 65. Jahrgang zu wissbegierigen, langjährigen Lesern macht.

Verlag, Redaktion und Herausgeber bedanken sich für dieses Vertrauen und nehmen es zugleich als Ansporn, Ernährungsthemen weiterhin vielfältig, aktuell und auf hohem Niveau zu präsentieren.

Prof. Dr. Helmut Heseker
Herausgeber

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
Ehrenherausgeber

Dr. Udo Maid-Kohnert
Redaktionsleitung


Literatur:
 
1. Mauss M. Die Gabe: Form und Funktion des Austausches in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/M., Suhrkamp (1968), S. 17–18
2. Dr. Ulrich Oltersdorf – Ernährungsdenkwerkstatt. URL: http://ernaehrungsdenkwerkstatt.de/keller/kartei/totalphaenomen.html Zugriff 15.12.17

DOI: 10.4455/eu.2018.001



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 1/2018 auf Seite M13.

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