Nachschlag: Sprachsalat mit Fleischeinlage

Seit 1. Dezember 2019 ist sie im Amt, die neue EU-Kommission. Und bereits am 8. November forderte die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer „Europa-Rede“1, „Europa muss Sprache der Macht lernen“.

Seit 1. Dezember 2019 ist sie im Amt, die neue EU-Kommission. Und bereits am 8. November forderte die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer „Europa-Rede“1, „Europa muss Sprache der Macht lernen“.

Als dann am 27. November das Europaparlament die neue Kommission endlich bestätigte, griffen die KommentatorInnen diese Aussage auf und Tagesschau online resümierte:
In einer Welt der Fleischfresser, so die Erkenntnis, kann die EU auf Dauer kein reiner Vegetarier bleiben.2

Gemeint ist hierbei nicht etwa die neue Klima-Initiative der Europäischen Kommission oder eine Begründung von weiterhin bestehenden Subventionen des Fleischverzehrs (manches Problem gäbe es nicht, wenn ganz „Europa reiner Vegetarier“ wäre) – es ist vielmehr mal wieder die archaische Symbolik des Fleischverzehrs als Zeichen von Macht und Stärke im beabsichtigt kräftigen metaphorischen Gegensatz zur blöd-blökenden, vermeintlich planlosen Masse der pflanzenverzehrenden Herdentiere. Das passt gut zum Stil anderer PublizistInnen, die das Friedensmodell Europa als „Kitsch“ entlarven wollen.3

Nun haben sowohl die meisten PolitikerInnen als auch Polit-KommentatorInnen (trotz erfreulicher Ansätze zur Verjüngung) ein recht hohes Durchschnittsalter. Damit fiel ihre sprachliche Frühentwicklung in eine Zeit, in der Slogans wie „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ das Sprachbad prägten (zum Thema Fleisch als Vermittler von Identität gab es 2018 einen Posterpreis4 auf dem wissenschaftlichen Kongress der DGE). Es ist dennoch schade, dass solch plumpe Sprachbilder noch immer bemüht werden, um Machtpolitik nicht nur zu rechtfertigen, sondern zugleich als Naturgesetz – das ewige Drama von Jäger und Gejagten – darzustellen.

In meiner sprachbildenden Schulzeit stand an manchem Aufsatz die Randbemerkung „Metapher verrutscht“, wenn ich gar zu unbeholfen-unbedacht formuliert hatte. Die Fleisch-Kraft-Macht-Achse ist zumindest überstrapaziert, von daher bekommt obiges Zitat von mir den Kommentar „Metapher veraltet“. Und: Spielt nicht der (vegetarische!) Stier eine unverzichtbare Rolle in der Europa-Mythologie? In diesem Sinne: Ob vegan, vegetarisch, flexitarisch oder mit Mischkost – starten Sie gut in ein sprach- und ernährungsbewusstes neues Jahr!

Dr. Udo Maid-Kohnert

____________
1 Rede vor Zuhörern der Konrad-Adenauer-Stiftung lt. Tagesschau vom 29.11.2019. URL: www.tagesschau.de/ausland/von-der-leyen-rede-101.html Zugriff 11.12.19
2 Tagesschau Online vom 27.11.2019: Jetzt live: Wahl der EU-Kommission
3 Schluss mit dem Kitsch! Die EU ist kein idealistischer Friedenstraum... URL: www.zeit.de/2019/11/europaeische-union-sozialmodell-macht-institution-brexit-migration  Zugriff 11.12.19
4 Fleisch als Vermittler von Identität. URL: www.youtube.com/watch?v=rViRD3_c5j8  Zugriff 11.12.19



Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 1/2020 auf Seite M64.

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