Editorial 02/09: Renaissance der Fingerhüte?

Prof. Dr. Helmut
Erbersdobler, Herausgeber

Auch wenn im Beitrag auf Seite 80 ff. mit den Kochsendungen im Fernsehen etwas hart ins Gericht gegangen wird, oute ich mich als Fan von Johannes Lafer, Alfons Schuhbeck und Co. Ich muss sagen, dass ich durch deren Sendungen vom dilettantischen Zufallskünstler zum Hobbykoch geworden bin. Viele Tricks – etwa das langsame und schonende Garen bei niedrigen Temperaturen – habe ich mir „abgeschaut“. Für einen, dem die RGT- Regel (Reaktionsbeschleunigung bei Temperaturerhöhung) auch wissenschaftliches Credo war, eine eigentlich logische Praxiskonsequenz.

Nicht alles jedoch, was die Köche sagen, ist richtig, besonders, wenn zu viel über immense gesundheitliche Wirkungen von Gewürzkombinationen schwadroniert wird („Ingwer erhöht die Wirkung des Knoblauchs um das Fünfzigfache“ – oder so ähnlich). Wenn manche Köche Butter, Sahne und Zucker pfundweise verbraten, zucke ich zusammen und hoffe, dass die kleinen Portionen, die man in der Sterneküche bekommt, manches verzeihen lassen.

Überhaupt die kleinen Portionen. Mir ist jetzt klar, warum Brokkoli so beliebt ist. Er lässt sich in kleinste Röschen zerteilen. In den Kreisen der Haute Cuisine hat man offensichtlich die gesundheitliche Wirkung des Gemüses (im Gegensatz zu der von Gewürzen) leider noch nicht erkannt. Auch warum man den Kartoffelbrei wie aus der Zahnpastatube gedrückt auftut und die aufwändig produzierte Soße nur zur Unterschrift benutzt, wird mir nicht klar. Ein Fingerhut voll wäre manchmal mehr.

Vor Jahren noch ein wenig beachtetes Objekt auf Trödelmärkten, könnten sich Fingerhüte bei den Edelköchen bald zunehmender Beliebtheit erfreuen. Für den Gruß aus der Küche (z. B. „das Beste vom Hummer an Trüffelessenz“). Dass bei solchen Mengen nur beste Produkte empfohlen werden und selbst eilig eingeflogene Lebensmittelexoten nicht zu teuer sind, wundert einen nicht. Als Fazit bleibt die Frage, ob man mit etwas gutem Willen der Köche (s. Gewürze) nicht mehr gesundheitliche Botschaften an die Verbraucher herantragen könnte, etwa die, den Gemüseverzehr zu erhöhen. Da schlummern noch Potenziale.

Derzeit gucken alle gerne den Köchen zu und bekommen Hunger. Als Konsequenz greifen sie zum Telefon und bestellen Pizza Salami. Vielleicht würden sie bei besserer Anleitung wenigstens hin und wieder eine vegetarische Pizza bestellen. Ein kleiner Schritt, aber immerhin.

In diesem Sinne, lasst uns weiter gucken,

Herzlichst, Ihr

Helmut Erbersdobler

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